Darf ich vorstellen: das Koloss. *)
„Wenn Du niedergeschlagen bist, wenn Dir die Tage immer dunkler vorkommen, wenn Dir die Arbeit nur noch monoton erscheint, wenn es Dir fast sinnlos erscheint, überhaupt noch zu hoffen, dann setz Dich einfach aufs Fahrrad, um die Straße hinunter zu jagen, ohne Gedanken an irgendetwas außer Deinem wilden Ritt.“
Sir Arthur Conan Doyle, britischer Schriftsteller
1997 bin ich nach Gernsheim gezogen. Damals trug die liebenswerte Stadt am Rhein noch nicht den Beinamen „Schöfferstadt“. Meinem Umzug gingen allerlei betriebliche und auch beziehungstechnische Kapriolen voraus. Nachdem ich mich halbwegs in meiner neuen Bleibe eingerichtet hatte, kam ich zu dem Schluss, mir zur Selbstbelohnung etwas Gutes tun zu müssen. Und habe mir in einem der beiden örtlichen Fahrradgeschäfte ein Mountainbike gekauft. 1.800 DM habe ich damals dafür auf den Tisch gelegt. Abartig viel Geld für ein simples Fahrrad. Wie sich die Zeiten und Ansichten doch im Laufe der Jahre verändern…
Weit über zwei Jahrzehnte hat mich mein gutes altes Muli nun schon begleitet. Unzählige Unfälle haben wir gemeinsam durchlebt. Zig Kilometer habe ich das Rad auf meinen Schultern durch die Gegend getragen. Aber viele, viele Kilometer mehr hat es mich treu bei Wind und Wetter zu meinen Zielen gebracht. Sonderlich viel Pflege bekam es dabei nicht ab, was mir die sympathischen Schrauber beim Montimare in Frankfurt auch jedes Mal mit einem Augenzwinkern mitteilten, wenn ich wieder einmal dort aufschlug und um Reparatur eines ausgefallenen Teils bat. Ein großes Danke an das Team dort auch an dieser Stelle noch einmal. Für jeden, der in Frankfurt über den Kauf eines Fahrrades nachdenkt, definitiv die erste Adresse! http://www.montimare.de/
Nun bin ich Inzwischen zum Schreibtischhengst verweichlicht und auch nicht mehr das jüngste Exemplar eines Gelegenheitsradlers. Während ich früher E-Bikes immer als Spielzeug für Faulenzer angesehen habe, kam ich nun zu dem Schluss, dass die elektrische Unterstützung vielleicht doch eine gar nicht so schlechte Option sein könnte. Aber wenn schon, dann alltagstauglich. Denn wenn es eine Erkenntnis in meinem mit Selbstverpflichtungen überladenen Dasein gibt, dann dass mir ein Sportgerät „für die Freizeit“ nichts nutzt. Entweder ich schaffe es, das Teil in meinen täglichen Bedarf zu integrieren, oder es wird zum Staubfänger mit maximal dreimaliger Nutzung im Jahr.
Meine Kunden verteilen sich auf die Mitte und den Norden Deutschlands. Wenigstens die in Frankfurt sollten sich aber mit dem Fahrrad erreichen lassen. Seit ein paar Jahren wird an einem speziellen Radweg zur Verbindung zwischen Darmstadt und Frankfurt gebaut. Dass ich die Fertigstellung noch erlebe, wage ich zwar zu bezweifeln. Aber wenn ich ein nicht gar zu empfindliches Fahrradmodell wähle, sollten Wald- und Feldwege kein Hindernis darstellen. Also ein Touringrad mit Mountainbike-Genen.
Zwischen Frankfurt und Gernsheim liegen über 50 Kilometer Distanz. Mit meinem Muli war ich da bei meinen verschiedenen Fahrversuchen jedes Mal gute dreieinhalb Stunden unterwegs. Das kann man gelegentlich mal als sportliche Herausforderung machen, aber für regelmäßiges Pendeln taugt das nicht. Es muss also ein Fahrrad sein, mit dem ich auch über größere Strecken höhere Geschwindigkeiten fahren kann, ohne mich dabei so sehr zu verausgaben, dass ich beim Kunden nur noch patschnass geschwitzt über die Türschwelle krabbeln kann. Ein S-Pedelec muss es also sein. Motor-Unterstützung bis 45 km/h klingt nach einer brauchbaren Lösung.
Weitere Gedanken muss man sich dann zum Schrauben machen. Will ich regelmäßig und zeitraubend an meinem zukünftigen Fahrrad selbst herumbasteln müssen, um das Teil fahrtauglich zu halten? Nein, auf gar keinen Fall. Damit scheiden Gebrauchträder genauso aus, wie No-Name-Bikes, mit denen mich jeder professionelle Fahrradshop abblitzen lässt. Es muss also wieder eine namhafte Manufaktur sein.
Nun steckt die Technik der Elektromobilität noch immer ziemlich in den Kinderschuhen. Es werden Pioniere gebraucht. Will ich ein solcher sein? Warum nicht. Aber dann wenigstens mit einer Händlerkette in der Hinterhand, die sich auf nichts anderes, als Fahrräder mit elektrischer Antriebsunterstützung konzentrieren. Diese und viele, viele Gedanken mehr haben mich bei der Suche beschäftigt. Das Internet hilft enorm bei der Recherche, aber wie bei jedem anderen Thema auch, gibt es extrem viel irreführenden Müll, den man erst einmal als solchen erkennen und aussortieren muss.
Zum Schluss bleibt dann noch das Kriterium „Preis“ übrig. Ein Thema, bei dem man sehr schnell Schnappatmung bekommen kann. Zuerst sucht man sich ein Rad aus, mit dem man die eigenen Wünsche und Anforderungen rundherum erfüllt. Beim Blick auf das dazugehörige Preisschild erschrickt man dann und lässt die Idee umgehend wieder fallen. Ein Jahr lang zu jedem beliebigen Ziel mit dem Taxi fahren, ist billiger, als ein E-Bike zu kaufen!
Allerdings sollte man auch den Gesundheitsaspekt mit ins Boot packen. Jahrzehntelange Erfahrung hat mir bewiesen, dass das mit dem Überwinden des inneren Schweinehundes ohnehin nicht dauerhaft klappt. Nach einem langen Arbeitstag verbringt man vielleicht noch eine Stunde im Zug auf dem Heimweg, aber spätestens dann ist die Energie futsch. Man kann sich zwar durchaus mit bester Absicht in einem Fitnessstudio eintragen, aber hingehen wird man nach anfänglicher Euphorie doch bald nicht mehr. Also lieber diese Ausgaben sparen und auf die Summe aufschlagen, die man für ein Fahrrad auszugeben gewillt ist.
Dann steigt man bei den günstigen Fahrrädern ein und studiert die Erfahrungsberichte der Nutzer. Schwächelt am Berg; exakt einen Tag nach Ablauf der Garantie kaputt; nur was für Sonntagsnachmittags-Ausflüge bei schönem Wetter… Jede Menge solcher Bewertungen von frustrierten Käufern kann man im Internet finden. Ein deutlicher Hinweis auf die alte Weisheit: wer billig kauft, kauft zwei Mal.
Ein Wechsel in die Mittelklasse ist also angesagt. Und da ist das Angebotsfeld riesig. Hier muss man dann schon etwas konkreter die Anforderungen umreißen, um sich zurecht zu finden. Crossrad? Mountainbike? Touringrad? Gravelbike? Rennrad? Oder eine der zahllosen Mixturen aus den unterschiedlichen Bauformen? Meine zwei Jahrzehnte Erfahrung mit meinem Muli haben mich zumindest um das Wissen bereichert, dass ich kein filigranes Rad gebrauchen kann. Rennräder und alle Ableger davon schieden somit schon einmal aus. Überhaupt wanderte mein erster Blick beim Betrachten der technischen Daten gleich auf das zulässige Maximalgewicht. Ich gehöre nicht zu den leichtesten Personen. Dazu kommt im Regelfall noch eine Satteltasche mit Laptop und Zubehör sowie ein bisschen weiterem Kleinkram. Meine Mindestanforderung an die Zuladung waren entsprechend 125 kg. Damit fielen sehr viele Räder schon aus dem Raster. Auch wenn so ein Bike naturgemäß eine hohe Toleranzgrenze aufweist, kann es nicht gut sein, das Rad vom ersten Tag an konstant überladen zu fahren.
Haltbarkeit und Belastbarkeit ist es dann auch, die man sich beim Betrachten der einzelnen Komponenten genauer anschaut. Will man alle paar Monate eine neue Kette aufziehen und häufig die Ritzel mit wechseln? Oder lieber gleich auf eine im Durchschnitt etwas haltbarere Nabenschaltung ausweichen. Nun haben Nabenschaltungen aber den Haken, dass sie meistens in den oberen Gängen nicht mehr weit übersetzen. Und wenn doch… gleich richtig ins Geld gehen. Auch Motoren für eBikes gibt es inzwischen zahlreiche. Manche reine Energiefresser. Manche zu schwach, um auch nur eine Brückenauffahrt hoch zu kommen. Manche kombinieren beide Nachteile. Willst’e mehr, zahlst’e mehr. Die meisten Profis sind sich einig, dass man keine Elektrobauteile unterschiedlicher Anbieter mischen sollte. Wenn also der Motor von Bosch, dann auch der Akku und das Display von Bosch. Für den Akku gäbe es günstigere Alternativen, aber wenn es denn sein muss, wandert doch das teurere Produkt mit in den Warenkorb.
Bis Frankfurt möchte ich fahren. Am besten auch wieder zurück. Unter voller Beladung. Und bei manchen Touren, selbst wenn sie nicht so weit gehen, doch zumindest ohne patschnass geschwitzt anzukommen, also mit hoher Motorunterstützung. Wie weit kommt man da mit einem Akku? Riskantes Spiel, wie mir die Recherchen schnell zeigten. Entweder dicke Ladepausen einplanen oder immer einen Ersatzakku im Gepäck haben. Aber warum eigentlich im Gepäck? Gibt es keine Räder, bei denen schon von vorne herein mehr Ladepower vorgesehen ist?
Doch, gibt es, wenn auch nur wenige. Davon nur sehr wenige in dem Preisspektrum, das ich mir als Obergrenze der Investition gesetzt hatte. Und gar kein Bezahlbares bei einen Anbieter, der jedoch ein Fahrrad im Programm hatte, in dass ich mich schlichtweg schon beim Anschauen richtig verliebt habe. Ein Koloss von Fahrrad. Der SuperCharger2 von Riese + Müller.
Vernunft versus Herz. Mit dieser Gefühlsmischung ans Testen von Fahrrädern zu gehen, ist schwierig. Man setzt sich auf ein passendes Rad und sucht eigentlich schon von vorne herein nach Anlässen, warum genau dieses Rad nicht das richtige ist. Ich wollte wenigstens so fair mir selbst gegenüber sein und habe mich lange vors Internet gesetzt, um Negativberichte über mein Wunsch-Bike ausfindig zu machen. Ich brauchte einen vernünftigen Grund, dieses Fahrrad gar nicht erst Probe zu fahren.
Es ist mir jedoch nicht gelungen. Die Menschen, die sich für ein Fahrrad von diesem Hersteller entschieden haben, wussten einfach nur Gutes zu berichten. Einem Fahrradgeschäft aus München namens VitBikes folgte ich schon seit Beginn meiner Suche. Übrigens ein YouTube-Kanal, für den ich hier gerne ein bisschen Werbung machen möchte: https://www.youtube.com/channel/UCzm-IO1r7ci5n3N5IMWo6AA. Als dieser sympathische Shop dann mit der Meldung kam „wir haben es getan“, kam meine Suche nach Alternativen komplett ins Wanken. Ein Unternehmen, das sich aus Überzeugung auf nur zwei Fahrradmarken konzentrierte, nimmt aufgrund von zahlreichen Kundenwünschen genau die Marke noch als drittes auf, die ich mir die ganze Zeit schon zu verkneifen versuche. Ja, noch eins oben drauf, der Inhaber des Ladens gesteht in einem Video sogar ein, dass er ursprünglich mit den schweren Doppelakku-Rädern rein gar nichts anzufangen gewusst hätte, aber sehr viele hellauf begeisterte Nutzer der Räder als Servicekunden in seinem Laden empfangen durfte.
An der Erfolgsgeschichte des Herstellers dieser E-Bikes musste also wohl was dran sein. Ich brauchte ein eigenes Bild von dem Rad. Was will ich mich denn weiterhin geißeln. Ein Griff zum Telefon und einen Termin beim nächstgelegenen Spezialisten für elektrisch unterstützte Drahtesel ausgemacht. So landete ich in Worms bei e-motion (https://www.emotion-technologies.de/worms), eine bequeme Fahrraddistanz von meinem Heimatort entfernt. Schon am Telefon war ich überrascht, wie selbstverständlich meine Frage nach einem Fahrrad von Riese + Müller als Auswahlspezifikation angenommen wurde. Keine Gegenfrage in der Richtung „haben Sie alternativ mal an X oder Y gedacht?“. Im Gegenteil, man wurde in den Gesprächen fast das Gefühl nicht los, sich hier für einen Hersteller zu interessieren, bei dem es nach oben hin kaum noch Mitbewerber gibt, die das toppen könnten.
Tja, was soll ich sagen. Nach einer Proberunde durch die Innenstadt von Worms habe ich das Suchen nach Alternativen restlos eingestellt. Es begann jetzt eine Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten und vor allem ein Abklopfen der unterschiedlichen Versicherungsangebote solcher Fahrräder. Man betrachtet ein Fahrradschloss auf einmal mit ganz anderen Augen, wenn damit ein Wert abgesichert wird, für den man auch ein sehr gutes gebrauchtes Auto kaufen könnte. Den Empfehlungen der ganzen Webforen folgend lässt man es dann auch nicht bei nur einem Schloss, sondern legt sich noch ein zweites zu. Knackbar sind sie alle, das bestätigen sämtliche Tester. Es ist einfach eine Frage, wie viel Mühe sich ein Fahrrad-Dieb geben muss, um die Verfügungsgewalt über das gute Stück zu erlangen. Ich habe mir am Ende eine Dreier-Kombination zusammengestellt: der Motor verriegelt elektronisch und ich hänge zwei Schlösser ans Rad; eins, bei dem man mit der Säge verzweifelt und eins, bei dem man mit einem Bolzenschneider nicht wirklich viel erreicht. Höhere Sicherheit erreicht man vermutlich nur, wenn ich das Rad noch unter Strom setze. Vielleicht finde ich da gelegentlich noch eine Schaltungsoption für. 😉
Begonnen habe ich diesen Text kurz nach Kauf des Rades. Nur wie so viele andere Texte auch, nicht fertiggestellt. Nun habe ich inzwischen die ersten 1.000 Kilometer auf dem Tacho des Fahrrades. Ich habe einiges an Erlebnissen und auch mehrere unfreiwillige Abstiege hinter mich gebracht. Ich habe mich eigentlich für einen nicht unerfahrenen Radfahrer gehalten. Aber ein S-Pedelec ist nun doch eine andere Hausnummer, als ein normales Fahrrad. Vielleicht kommt es hier zum Tragen, dass ich in meinem Leben niemals ein Motorrad gefahren bin. Aber ich glaube, das zentrale Problem auf solch einem Elektro-Fahrzeug ist, dass man nirgendwo richtig aufgehoben ist. Auf den Radwegen ist man zu schnell, auf der Straße zwischen den Autos jedoch zu langsam. Man ist immer im Weg und sollte ununterbrochen im Hab-Acht-Modus bleiben. Okay, das sollte man während der Teilnahme am Straßenverkehr ohnehin.
Nachdem ich jetzt in den letzten Tagen gleich mehrfach gefragt wurde, was das denn für ein Fahrrad sei, mit dem ich da zum Brot holen strampele und auch sonst immer mehr durch die Gegend rolle, will ich dann hier endlich die offizielle Vorstellung nachholen. Mein betagtes Muli hat einen würdigen Nachfolger bekommen. Größer, schneller und vor allen Dingen – leider – viel schwerer. Aber dennoch ein rundherum gelungenes Elektro-Fahrrad! Klingt neudeutsch doch irgendwie besser. Bleiben wir also beim „E-Bike“. Wobei formal korrekt ist es ein Pedelec, denn ich muss zum Antrieb noch in die Pedale treten. Ein echtes E-Bike fährt rein durch Betätigen des Gashebels. Aber damit jetzt mal genug der Spitzklickerei, sonst wird dieser Blogeintrag nie fertig. 🙂
Über die Erlebnisse auf und mit meinem Koloss werden hier sicherlich noch einige Berichte folgen.
Sportliche Grüße
Euer Clark
*) Mir ist natürlich bekannt, dass Kolosse der korrekten Rechtschreibung nach eigentlich das maskuline Prädikat tragen sollten. Hier sehe ich das eher als Eigenname des Rades und weniger als Duden-konformen Ansatz.