Auf dem Weg zum Blockbuster
„Solange der Krieg etwas Frevelhaftes hat, behält er seine Faszination. Erst wenn die Menschen in ihm etwas ganz Gewöhnliches sehen, wird ihnen die Lust daran vergehen.“
Oscar Wilde, aufgrund seiner sexuellen Orientierung umgebrachter irischer Lyriker
Mal ’ne Frage an die Gemeinde. Ich schreibe gerade an einem Drehbuch für einen monumentalen Blockbuster. Aber zum Kreieren eines fulminanten Endes bräuchte ich noch ein bisschen Inspiration. Doch zuerst hier einmal kurz zur Story…
Es herrscht Krieg. Irgendwo weit weg. Man weiß nicht so genau, gegen wen. Es scheinen mehrere unterschiedliche Gegner zu sein. Doch da es, wie gesagt, weit weg passiert, interessiert sich kaum jemand so wirklich dafür. Nur wenig mehr als die Hälfte der Menschen können sich aufraffen, so etwas wie eine Oberbefehlskommandatur zu stellen. Das Leben erscheint den Menschen zu stressig. Um alles Unangenehme sollen sich gefälligst andere kümmern.
Um herauszubekommen, was genau denn in der Ferne so vor sich geht und um sicherzustellen, dass die Ferne auch in der Ferne bleibt, wählt der Oberbefehlshaber zwei spezialisiert ausgebildete Kämpfer aus. Einer der beiden hat eine etwas schräge Vergangenheit, die er zu verheimlichen versucht. Ein schweigsamer Typ, der eher als Lonely Wolf rüberkommt, als denn für Teamplay geschaffen zu sein. Nennen wir ihn hier in der Geschichte den „Gauner“. Der andere ist ein unterhaltsames Kerlchen, redet immer ein bisschen zu viel. Und hat den Ruf, bei manch einem Gefecht aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen trotz bester Ausgangsposition vor seinen Gegnern einzuknicken. Er hat schon manch einen guten Freund im Laufe seiner beachtlichen Laufbahn deswegen verloren. Nennen wir ihn hier in der Geschichte den „Träumer“. Beide Gestalten mögen ein bisschen strange sein, aber es sind nichts desto trotz absolute Vollprofis, denen man bedenkenlos auch schwierigste Aufträge im Fronteinsatz übertragen kann.
Doch der Oberbefehlshaber hat sich nicht nur um die Front in der Ferne zu kümmern, sondert struggelt auch noch mit dem einen oder anderen Problem zuhause. Eins davon versucht er zu lösen, indem er seinen beiden Profis einen mitten in der Pubertät steckenden, ständig nur rumzickenden Teenager mitgibt. Die beiden Altgedienten sind absolut nicht glücklich mit diesem Kindermädchen-Job. Und noch weniger, als der Oberbefehlshaber auch noch ausdrücklich den Befehl gibt, mit Priorität auf den Junior aufzupassen. Ihm darf auf keinen Fall etwas geschehen. Am liebsten wären jetzt die beiden Kämpfer zickig geworden, doch was sollten sie denn tun? Den Befehl verweigern? Nein, man stellte sich eben darauf ein, dass der Ritt an der Front ein bisschen heißer wird, als es nötig wäre. Aber wo steht denn geschrieben, dass das Leben immer einfach zu sein hat.
Wie schlimm es dann doch wirklich wird, stellte unsere kleine Kampftruppe erst im Laufe der Zeit fest. Sie arbeiteten sich an der Front nach vorne und stellten fest, dass die Kugeln sehr tief flogen. Bevor der Teeny Unsinn macht, zogen sie sich zurück und versuchten es an einen anderen Frontabschnitt neu. Zweimal zwischendurch müssen sie den Jungen davon abhalten, in eine Tretmine zu tappen. Auch am dritten und vierten aufgesuchten Frontabschnitt ist die Gefahr zu groß, dass der Heranwachsende in seiner Sturm-und-Drang-Verfassung den Kopf zu weit aus dem Schützengraben hebt. Immer wieder müssen sich die drei zurückziehen.
Die zahlreichen Gegner spüren diese Schwäche und nutzen jeden dieser kleinen Rückzüge für einen weiteren Vorstoß. Zuhause wird der Oberbefehlshaber langsam nervös, denn genau das, was er mit seiner entsandten Einheit verhindern wollte, tritt nun mehr und mehr ein: die Feinde rücken näher. Er beginnt, Druck auf die Soldaten auszuüben, schließt jede seiner Forderungen jedoch auch weiterhin mit dem Hinweis ab, dass auf den Kleinen unbedingt aufgepasst werden muss, denn er sei für das Gesamtwohl sehr wichtig. Unsere beiden harten Kerle sind in dieser Beziehung anderer Meinung, nur leider nicht beide der gleichen. So kommt es auch hier immer mehr zu Reibungen. Was der zu beaufsichtigende Teenager nur zu gerne schamlos für sich ausnutzt und die Situation an der Front zu seinem persönlichen Vorteil manipuliert. Ohne dabei zu verstehen, welchen Schaden er anrichtet.
Zuhause werden jetzt auf einmal auch ein paar Schlafsäbel wach, die sich bisher rein gar nicht für das Geschehen an der Front interessierten. Doch statt sich irgendwie nützlich zu machen, beginnen sie nun auch noch, auf den Oberbefehlshaber erpressend einzuwirken, dem nichts anderes übrig bleibt, als seinen Frust an die zwei bzw. drei an der Front weiterzugeben.
Irgendwann ist es soweit, dem Gauner platzt der Kragen. Er pfeift auf seinen Marschbefehl und schickt den immer wilder rumzickenden Teenager nach Hause. Tief drinnen weiß er, dass es für irgendwelche Erfolge an der Front längst viel zu spät ist. Aber er bleibt dennoch optimistisch, zusammen mit dem Träumer noch einen großen Wurf landen zu können. Doch die Rechnung hat er ohne den Wirt namens Oberkommandierender gemacht. Der nämlich hat eigentlich schon den Beschluss gefasst, die beiden glücklosen Profis an der Front abzuziehen und in die Reserve zu stecken. Können sich vielleicht später beim Aufräumen nützlich machen, aber jetzt sollen erst einmal andere ran.
Dass diese Anderen früher schon mal einige Einsätze ziemlich verbockt und andere nur durch die Kombination von Zufall und absolutem Glück gemeistert haben, spielt keine Rolle. Das Gedächtnis der Massen ist zu kurz, als dass Worte oder Taten von gestern noch eine Rolle spielen. Die Menschen hinter dem Oberkommandierenden giert es nach Taten. Im Zweifel werden auch die völlig falschen Aktionen gutgeheißen, Hauptsache es tut sich überhaupt irgendetwas.
Unsere beiden Kämpfer sind der Verzweiflung nahe. Aber ein kleines bisschen freuen sie sich auch auf das absehbare Ende ihres undankbaren Einsatzes. Der Teenager ist inzwischen zuhause angekommen. Wollte eigentlich voller Stolz über seine Taten und Erlebnisse prahlen, muss aber feststellen, dass sich sogar ehemals gute Freunde von ihm abwenden, da sie seine Großkotzigkeit und die Weigerung, Erwachsen zu werden, nicht mehr ausstehen können.
Die neuen Spezialkräfte für den Fronteinsatz beginnen sich fertigzumachen. Insbesondere einer der ganz großen Gegner an der Front wird währenddessen gar nicht mehr fertig, sich schlapp zu lachen. Er stichelt ein bisschen hier und ein bisschen da, damit alle anderen Feindesgruppen auch schön aktiv bleiben Da diese größtenteils auch untereinander heftig zerstritten sind, braucht es nicht viel, um das Spiel im Gange zu halten.
Jetzt könnte man noch viele Nebenschauplätze einbinden. Beispielsweise Geschichten über alte Männer und die Bräunungscreme-Mafia. Oder Technologieraub nach dem Motto, wo zwei sich streiten, freut sich der dritte. Aber auch ein paar tragische Einzelschicksale mit ihren der breiten Masse gar nicht mehr nachvollziehbaren Alltagsproblemchen könnte man mit einfließen lassen. Kurz habe ich auch über Dinge, wie funktionierendes Internet nachgedacht, mich aber dann dagegen entschieden, da es mir zu sehr nach Fiktion schmeckte.
Letztendlich habe ich all diese Dinge nicht mehr ins Drehbuch aufgenommen, da die Handlung ja in anderthalb Stunden Sendezeit bewältigt werden sollte. Eigentlich muss man den Zuschauern solch anspruchsvolle Kost inzwischen ja in 45-Minuten-Häppchen verteilt auf mehrere Wochen gestreckt kredenzen. Die Aufmerksamkeitsspanne des Durchschnittspublikums nimmt ja bekanntlich immer mehr ab.
Nun bleibt bei mir jedoch die eine Frage offen: wie kriege ich zum Ausklang der Geschichte noch ein Happy End hin? Sollten in alter Klaus-Kinski-Manier die Helden des Filmes zum Ende hin umkommen? Sollte man bei dem Werk vielleicht gar auf einen glücklichen Ausgang verzichten?
Ganz am Ende gewinnt der eine ganz große Gegner, das ist klar. Doch bis dahin wäre es eigentlich durchaus möglich, noch ein paar weitere Fortsetzungs-Teile dieses Dramas zu produzieren. Oder machen wir einfach jetzt gleich das Licht aus?
Vielleicht fehlt mir nur die Fantasie zum Schreiben von erfolgreichen Geschichten. Könnte sein, dass ich mich einfach viel zu sehr an der Realität orientiere.
Novembergrautrübe Grüße
Euer Clark
Wie hätte die Geschichte sich wohl entwickelt, wenn die Oberkommandierenden alias die Wahlberechtigten von vorne herein den entsandten Frontkämpfern alias der Regierung gar nicht erst solche Knüppel alias einer Klientel-Partei zwischen die Füße geworfen hätte? Aus der verantwortungsbefreiten Oposition heraus meckert es sich immer leicht. Wären die Menschen alias das Volk im Ganzen mit der Entwicklung dann zufriedener gewesen? Tatsächlich dürfte das zu bezweifeln sein, denn die aufgrund des einen ganz großen Endgegners alias Klimakatastrophe zu treffenden Entscheidungen bedeuten schmerzhafte Einschnitte für jeden. Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre das ganze Gezetere weniger verfänglich ausgefallen, da die Menschen nicht nur ihre tagliche Berichterstattung über irgendwelche Streitereien in den Nachrichten gesehen hätten, sondern auch die eine oder andere wirkliche Tat. Dass komplett unzureichende oder im Zweifel sogar nachweislich kontraproduktive Taten auch akzeptiert werden, sieht man ja aktuell nur zu gut. Die Menschen möchten nur tatsächlich endlich einmal echte Taten sehen. Das jahrelange Betrachten der Niedergangs-Soap-Opera hat zu müde gemacht.
Schauen wir mal, ob die Nachrichtensendungen der kommenden Monate ein Skript für die Fortsetzung dieses Drehbuchs mit sich bringen. Oder ob die Soap zur Never Ending Story ausartet…