Genug der Pause, Zeit für den Diskurs.

„Probleme kann man niemals mit der selben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Albert Einstein, deutscher Physiker

Mindestens zwanzig Anläufe habe ich unternommen, mal wieder einen Eintrag hier in meinem Blog zu packen. Keinen der Texte habe ich fertig gestellt. Das Durcheinander des ganzen letzten Jahres setzt sich so auch in geschriebener (oder eben nicht geschriebener) Form fort.

Aber damit soll jetzt endlich einmal Schluss sein. Es ist Frühling. Alles blüht auf, die Natur steht in den Startlöchern, es ist an der Zeit auf Aufbruch und Neustart.

Und genau diese Wechselstimmung hatte ich auch in mir, als ich gestern nach dem Lesen eines aktuellen Interviews mit Professor Dr. Frithjof Bergmann einen Eintrag in meiner Facebook-Chronik postete. Wie häufig bei politisch ausgerichteten Stellungnahmen fiel die Resonanz darauf sehr zurückhaltend mit nur einem einzigen Like aus. Es ist schade, dass trotz wachsender Polarisierung in der Gesellschaft weiterhin die eigene Wertehaltung der Menschen ein Tabuthema darstellt. Natürlich ist das Wahlgeheimnis ein wertvolles und schützenswertes Gut. Aber für die volksvertretende Kaste wäre es dennoch ein deutlicher Fingerzeig, wenn sich mehr Menschen über ihre Erwartungen und Wünsche gegenüber der Politik äußern würden. Nicht nur an – aktuell coronabedingt ohnehin ausfallenden – Stammtischen, sondern ganz offen im täglichen Austausch. Das wäre sicherlich auch eine sinnvollere Verwendung für viele Social Media-Kanäle.

Einen Kommentar bekam ich dann aber doch auf meinen Eintrag. Dessen Inhalt mich den Abend lang beschäftigte und dann gleich am Folgetag zu einer Antwort verleitete. Selbige ich versuchte, kurz zu fassen. Bekanntlich nicht meine Stärke. Für meine Verhältnisse dennoch gelungen, finde ich. Allerdings flossen in meine Antwort enorm viele in den letzten Monaten geführte Gespräche mit ein, in denen ich diese Punkte wieder und wieder wiederholte. So kam ich nun zu dem Entschluss, meinen Antworttext nicht in Facebook einzukopieren, sondern die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und damit meinen etwas versandeten Blog wieder zu beleben. Mit dem festen Vorsatz, mich nun wieder öfter zu Worte zu melden.

Hier also nun der Text aus meinem erwähnten Facebook-Eintrag:

Vor weit mehr als einem Jahrzehnt kaufte ich mir das Buch „Neue Arbeit, Neue Kultur“. Und war von den Visionen des damals schon betagten Professors fasziniert. Natürlich sind „amerikanische“ Probleme andere, als denn „deutsche“. Aber das Kernübel, nämlich das Verkaufen von Lebenszeit gegen Kapital ganz ohne Berücksichtigung eines Lebenszwecks, ist ein internationales.

Die Schattierungen mögen je nach Ausprägung der Abhängigkeit vom Kapitalismus von Nation zu Nation ein wenig variieren, aber auf den absoluten Punkt gebracht steckt hinter allem die gleiche Ursache: wenn man einem Menschen heutzutage die simple Frage stellt, „was würdest Du aus tiefstem Herzen gerne tun?“, wissen die allermeisten keine Antwort darauf. Spontan nicht, aber meistens auch nicht nach einigem Überlegen. Unsere Zivilisation ist auf „Funktionieren“ ausgerichtet. Nicht auf „Leben“. Einzelne Zahnrädchen im großen Spiel mögen hier und da mal einen Ausbruch versuchen. Werden jedoch immer wieder im Räderwerk der angeblichen Normalität einfach zermahlen.

2004 erschien die erste Auflage des Buches. Und schon darin zeichnete der Autor die Befürchtung eines gesellschaftlichen Abrutschens in den Extremismus als langfristige Folge einer mit der industriellen Revolution gestarteten Fehlentwicklung der Gesellschaften ab. Kriege der Zukunft werden nicht mehr an Grenzen entschieden, sondern sich in Form von Terrorismus und allgegenwärtiger Angst darstellen, so zeichnet er ein düsteres Bild aus seinen Analysen der damaligen Zeit. Inzwischen sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Könnte man ruhigen Gewissens behaupten, er habe sich mit seiner Prognose geirrt?

Das Thema des Umgangs mit der Arbeit und allen daraus resultierenden Folgethemen, wie Armut, Konsum, Gesellschaft, Wertegefühl, Solidarität sowie auch Umwelt und Natur, ist heute ein genauso brandheisses Eisen, wie es schon vor 50 Jahren war. Vielleicht sogar heißer, als jemals zuvor.

Man könnte nun dieses Eisen aus dem Ofen nehmen und etwas daraus schmieden. Ob es dann, in Anlehnung an die Heilige Schrift, Pflugscharen oder eher Schwerter werden, entscheiden wir allesamt gemeinsam. Eine enorm wichtige Entscheidung, wie ich finde.

Man kann aber natürlich auch einfach einen auf Vogel Strauß machen, den Kopf in den Sand stecken und während exzessivem Nichtstun einfach abwarten.

Ob das die Lösung aller Probleme mit sich bringen mag… Nun, auch diese Frage muss jeder für sich beantworten. Noch können wir wählen. #btw2021

Der Link zu dem Interview, auf das ich mir hier beziehe: t3n.de/magazin/new-work-urvater-frithjof-bergmann-alte-mann-mehr

Und der leicht von mir angepasste Kommentar zu meinem Eintrag:

Nun ja, die Frage nach dem „was würdest Du aus tiefstem Herzen gerne tun?“ können sicherlich Viele recht schnell beantworten, nur mit dem Tun hapert es. Manche tun es und Viele würden gerne und getrauen sich nicht und andere werden es nie tun. Zu viel Angst.

Und die Fehlentwicklung der Gesellschaft? Schon die Phönizier machten sich darüber intensive Gedanken. Karl Marx wies auf die Wurzeln des Übels hin, bot aber keine wirklichen Lösungsansätze, die eh niemand wirklich hätte hören wollte.

Aber nun zur großen Frage: wen oder was soll man wählen, um eine Änderung herbeizuführen? Was soll wie geändert werden? Was kann geändert werden? Was und wer macht es uns leichter, das zu tun, was wir aus tiefstem Herzen gerne tun würden? Und was ist, wenn gerade dieser sehnlichste Wunsch sich im Nichtstun erfüllt? Wer definiert Lebenszweck?

Fragen über Fragen, auf die es viele und keine Antworten gibt.

Aber wir haben ja noch die Wahl.

Wirklich?

So …… und jetzt brauche ich eine ausgedehnte Runde QiGong …… vielleicht die 18 Bewegungen der Harmonie …… um meinen Kopf wieder von den vielen Problemstellungen zu befreien und einfach den Moment des Jetzt genießen.

Amituofo

Die Shaolin drücken mit dieser Grußformel die Sprache des Herzens aus. Dreimal wird das Wort vor dem eigentlichen Training ausgesprochen. Zur Bekundung des Respektes vor Buddha, zur Wertanerkennung der Lehre und für die Gemeinschaft, das „Wir“. Ein Wert, den unsere Gesellschaft heute ziemlich aus den Augen verloren hat. Im allgegenwärtigen Ich-Ich-Ich kommt das Wir viel zu kurz, ja, es steht auf der roten Liste der bedrohten Arten. Aber darauf komme ich sicherlich in einem späteren Blogeintrag noch öfter zurück. Heute greife ich lieber die vielen Fragezeichen im oben zitierten Kommentar auf.

Was denn die Frage nach dem „Was würdest Du gerne tun“ angeht, bin ich ziemlich sicher, dass es eher eine sehr kleine Minderheit ist, die hier wirklich eine wahre Herzensantwort drauf geben kann. Gerade wenn ich mich mit den Schülern im Alter der anstehenden Berufswahl unterhalte, merke ich doch sehr, dass da an den bestehenden Jobmustern orientiert wird. Nicht am Bauchgefühl. Das auszulesen wurde uns ja auch niemals beigebracht. Der allererste Fokus dessen, was ein Mensch lernt, liegt doch immer wieder auf dem Geldverdienen. Wer den Gedanken verfolgt, ob ihm die Berufswahl etwas „bringt“, meint damit zuallererst immer wieder nur das materielle Einkommen. Dass sich hinter „Bringen“ auch Nahrung für den Geist und das Wohlbefinden verbirgt, merken die meisten Menschen erst, wenn sie in einem Hamsterrad aus Verpflichtungen und Gewohnheiten feststecken und nur noch unter gigantischem Aufwand rauskommen.

Was denn den Hinweis auf die Phönizier und Karl Marx angeht, ist das ja nur ein Indiz dafür, wie unsagbar alt dieses bis heute andauernde Problem schon ist. Über den Punkt des totalen Nichtstuns als absolute Lebensgrundhaltung wird auch im Zusammenhang mit der Arbeitslosenförderung immer wieder viel diskutiert. Harzt IV bleibt ja auch ein ewiger Dauerbrenner. Es mag vielleicht wirklich Menschen geben, die sich einem Leben des Sofakissen-Durchsitzens verschrieben haben. Aber letztendlich resultiert das auch nur aus einem Mangel an Inspiration in jungen Tagen. Kein Mensch wird wirklich als Nichtsnutz geboren. Es ist die Erziehung, die Bildung und die Gesellschaft, die ihn zu einem solchen formt. Wie oben schon erwähnt, mit dieser grundlegenden Vordefinition, welche Tätigkeiten denn etwas „wert“ sind, wird vieles an Neugierde und Entwicklung schon in einem Stadium kaputt gemacht, an das man sich später im Leben kaum mehr erinnern kann.

Und dass unsere gesellschaftlichen Ansichten von „welche Tätigkeiten sind wertvoll und welche niederwertig“ grottenfalsch sind, sehen wir ja auch gerade an dem Umgang mit Pflegekräften, Paketzustellern und Fleischfabrikarbeitern.

Ich bin auch ziemlich sicher, dass es häufig nicht EINEN einzigen solchen Herzenswunsch gibt. Der Mensch entwickelt sich. Etwas, das man als Zwanzigjähriger wichtig fand, spielt vielleicht als Fünfzigjähriger keine Rolle mehr. Wir sind längst in einem Zeitalter angekommen, in dem der im Teenageralter erlernte Beruf absolut nichts mehr mit dem zu tun haben muss, was man bis zur Rente ausübt. Es ist eine veraltete, konservative Grundhaltung, an diesem Weltverständnis wider besseren Wissens festzuhalten.

Genau dieses verbissene Festhalten beantwortet dann letztendlich auch die Frage nach dem „was soll man denn wählen“. Ganz wichtig ist es vor allen Dingen doch als allererstes einmal, überhaupt zu wählen. Denn das setzt voraus, sich mit den aktuellen Wünschen und langfristigen Zielen auseinanderzusetzen. Sobald man diese für sich selbst erkannt hat, muss man schauen, welches Sprachrohr diese Wünsche denn am besten in den politischen Diskurs einbringt. In den Medien spielen leider immer wieder nur die vier, fünf Altparteien eine Rolle. Aber zur Bundestagswahl im September treten nach aktuellem Stand 37 Parteien an! Da sind einige dabei mit recht wirren Ideen, einige mit aus meiner Sicht katastrophalen Ansätzen, aber auch viele mit wichtigen, richtungsweisenden Vorgaben. Das Problem ist, dass sie in unserer Medienlandschaft schlichtweg unter den Teppich gekehrt werden. Angehende potentielle Wähler müssen sich schon extrem Mühe geben und viel suchen, um hier an Informationen zu kommen. (Einer der Punkte, bei denen ich tatsächlich den vernagelten Leerdenkern ein Stückweit Recht geben muss. Dass die kommerziellen Medien sich nur auf das stürzen, was Klickzahlen und Umsatz bringt, mag ja noch verständlich sein. Aber auch in der staatsfinanzierten politischen Berichtserstattung erfolgt die Ausrichtung ein bisschen arg einseitig zugunsten derer, die ohnehin schon im Rampenlicht stehen.)

Ich habe mir letztens einen Gebrauchtwagen gekauft (auch das verrät die Facebook-Chronik). Zum Erstcheck bin ich damit zum Autoschrauber meines Vertrauens gefahren. Der mir mit hängenden Schultern mitteilte, was er reparieren kann, und wovon der die Finger lassen muss. Teile der Sicherheits-Elektronik sind für ihn tabu, damit muss ich zu einer Markenwerkstatt des Herstellers. Und an die Gasanlage geht er nicht ran, weil ihm dazu die Zertifikate fehlen. Er empfahl mir hierfür eine Fachwerkstatt in Darmstadt. Ich klapperte also mit meinem alten Auto drei Werkstätten ab, bis ich sicher sein konnte, dass mit dem Wagen alles in Ordnung ist. Gleiches Spiel mit meiner Gesundheit. Die Fähigkeiten des Hausarztes kommen irgendwann an ihre Grenzen. Und der Arzt, der gerne mit Bastelwerkzeug in meiner Pumpe herumstochert, kann mir bei dem neuerdings zickig gewordenen Verdauungsapparat nicht mehr weiterhelfen. Immer wieder ist der Gang zu einem Spezialisten angesagt.

Warum um alles in der Welt soll das in der Politik anders sein? Auf was für ein übertriebenes Selbstverständnis bauen die Altparteien ihren Anspruch auf, für alle Probleme der Zeit die passende Lösung zu haben? Dass sie genau das eben nicht haben bekamen wir eigentlich in den vergangenen zig Jahrzehnten bewiesen. In den Schlamassel aus Klimaproblemen, sozialer Not und weltweitem Säbelrasseln haben uns nachweislich die bisherig langjährig regierenden politischen Lager gebracht. Schon allein das ist eigentlich Beweis genug, dass genau diese Parteien absolut ungeeignet sind, uns aus diesem Morast wieder rauszuholen.

Vielleicht ist es an der Zeit für eine Minderheitsregierung? Kaum ein anderes Modell fordert mehr die politische Konsensbildung und das wirkliche Auseinandersetzen mit den zu entscheidenden Themen heraus. Aber egal wie, es ist auf jeden Fall Zeit für eine komplett neue Ausrichtung der politischen Zukunftsorientierung. Wir brauchen keine Weimarer Republik 2.0. Irgendwann sollte sich der Mensch vielleicht wirklich einmal weiterentwickeln und bestehende Probleme lösen, statt sie von einer Generation auf die nächste zu verlasten. Mag sein, dass hierfür Experimente erforderlich sind. Mag sein, dass manch eins dieser Experimente fehl schlägt. Aber ganz sicher steht fest: so weitermachen wie bisher bringt keinen weiter. Das zeigt jeder noch so flüchtige Blick in die Geschichtsbücher.

Optimistische Grüße und bis hoffentlich bald wieder hier im Blog!

Euer Clark

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