Dein großer Bruder hat Dich im Auge. Immer!
„Zu sagen, dass Ihnen das Recht auf Privatsphäre egal ist, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist nichts anderes als zu sagen, dass Ihnen die Meinungsfreiheit egal ist, weil Sie nichts zu sagen haben. Es ist ein zutiefst antisoziales Prinzip, denn Rechte sind nicht nur individuell. Sie sind kollektiv, und was für Sie heute möglicherweise keinen Wert hat, hat möglicherweise einen Wert für eine gesamte Bevölkerung, ein gesamtes Volk, eine gesamte Lebensweise von morgen. Und wenn Sie sich nicht dafür einsetzen, wer wird es dann tun?“
Edward Snowden, US-amerikanischer Whistleblower
Letztens habe ich einer Freundin beim Umzug geholfen. Wie so häufig bei anstehenden Arbeiten habe ich mich einmal mehr beim Kalkulieren der Arbeitsmenge total verschätzt. An einem Wochenende sollte das zu schaffen sein, so lautete mein Plan. Vorsorglich haben wir schon ein Wochenende angesetzt, an dem der Donnerstag ein Feiertag war; statt nur zwei hatten wir somit sogar vier Tage zur Verfügung. Als ich dann am Freitagabend nach nicht mal halber Arbeit wie ein gefällter Baum ins Bett fiel und am Samstagmorgen mich vor lauter Muskelkater nur mit viel Ächzen und Stöhnen wieder aus den Federn quälte, kam die Erkenntnis, dass ein Schreibtischtäter wie ich für solch eine Aufgabe ganz offensichtlich dann doch externe Hilfe benötigt.
Frohen Mutes startete ich meinen Computer und wählte die gängigen Kleinanzeigen-Seiten aus. Natürlich fand sich in der näheren Umgebung kein Privatmann, der über eine Anzeige seine Dienste spontan zur Verfügung stellen wollte. Also folgte ich den zu meiner Suche passenden Werbelinks, die mir ständig angezeigt wurden. Ein Unternehmen aus Köln warb damit, deutschlandweit Studenten zu vermitteln. Mit 20 bis 30 Euro Vermittlungsgebühr sollte es mir die Sache wert sein. Ich griff entsprechend zum Telefon und tippte die Nummer von der Website ab.
Irgendwann vor Ewigkeiten, damals im alten Jahrtausend, als ich frisch in die Nutzung der aufkommenden Handys startete und häufig in irgendwelchen grenznahen Gebieten unterwegs war, mich also ständig in ein ausländisches Netz einloggte und an Telefongebühren dumm und dusselig zahlte, habe ich mir einmal angewöhnt, Telefonnummern grundsätzlich immer mit der führenden Angabe +49 statt der 0 in der Vorwahl zu tippen. Die Technik ist inzwischen längst so weit entwickelt, das moderne Smartphones selbständig feststellen, zu welcher Nation das Funknetz gehört, in dem sie gerade eingewählt sind. Es ist einfach nur die Gewohnheit aus jahrelanger Praxis, die mich an dieser Art eine Telefonnummer zu tippen, festhalten lässt.
Mit meinen muskelverkaterten Fingern und dem vielleicht durch Selbstenttäuschung und Frust etwas getrübtem Geist brachte ich es fertig, statt der Null das Pluszeichen zu tippen, ließ aber die für Deutschland geltende Vorwahl 49 weg. Mein Telefon wählte und wählte ohne dass ein Signal kam. Ein Blick aufs Display zeigt mir schnell den Fehler. Ich legte auf und tippte die Telefonnummer erneut in mein Handy, dieses mal korrekt beginnend mit +49 221… Jetzt klappte auch die Verbindung, ich landete jedoch auf einem Anrufbeantworter, der mir mitteilte, dass ich außerhalb der Geschäftszeiten anrief. Verwundert schaute ich nochmals auf die Website des Unternehmens, wo groß und deutlich ein „24/7“ abgebildet war. Offensichtlich ist bei den Kölnern der Samstag nicht in den „7“ enthalten.
Ich beendete das Gespräch mit der Maschine und rief die nächste Vermittlungsagentur im Browser auf. Auch wieder bundesweit tätig, eine Telefonnummer mit 0800 beginnend. Grundsätzlich ist es eine feine Sache, wenn ein Unternehmen den Anrufern die Telefongebühren ersparen möchte. Aber im Zeitalter von quasi standardmäßig überall angebotenen Flatrates ins deutsche Festnetz handelt es sich jedoch eher um einen Preistreiber, den ich nicht unbedingt unterstützen möchte. Ich surfte also etwas weiter auf der Suche nach einem anderen Unternehmen in der Region und bekam von der Google-Suche kurz darauf eine Telefonnummer beginnend mit 06151 für Darmstadt angezeigt. Ich klickte auf den Link und siehe da, es handele sich um dieselbe Seite, wie vorher mit der 0800er Nummer. Die Telefonvorwahl gibt heutzutage schlichtweg kein Indiz mehr dafür ab, wo ein Unternehmen sitzt. Seufzend schaute ich auf die Uhr, dachte an die auf mich wartenden Möbelstücke und Umzugskartons, und wählte die Darmstädter Nummer an.
Rammdösig, wie ich denn gerade drauf war, machte ich doch glatt denselben Fehler wie bei meinem ersten Versuch noch einmal und tippte +6151… statt +496151. Dieses Mal tönte gleich nach dem Anwählen schon die Meldung aus meinem Hörer, dieser Anschluss sei nicht vergeben. Grummelnd blickte ich auf mein Handydisplay, klickte auf ‚Gespräch beenden‘ und wählte die Rufnummer erneut, dieses Mal korrekt. Eine freundliche Stimme vom Band versuchte meinen Anruf zu kanalisieren und mich dazu zu bewegen, mich über das Internet auf der Website zu registrieren und dort eine Suche aufzugeben. Man würde sich dann bei Gelegenheit bei mir melden. Vollkommen frustriert beendete ich auch dieses Gespräch und machte im Geiste einen dicken Haken an die Suche nach Unterstützung. Wie bei allen anderen Gelegenheiten im normalen Leben, gilt auch hier der klare Fakt: … wenn man nicht alles selber macht…
Als ich einige Stunden später während der Schlepperei eine Pause einlegte und dabei nach meinen eMails schaute, entdeckte ich eine Info von meinem Anrufbeantworter: eine 0800er Nummer hatte mich angerufen und eine Sprachnachricht hinterlassen. Während ich das Handy wieder wegsteckte, dachte ich so bei mir, dass diese Vermittlungsfirmen offensichtlich doch ein recht gutes Marketing betreiben, wenn sogar eingehende Anrufe, die vom Anrufer abgebrochen wurden, zurückgerufen werden. Nass geschwitzt und zwischen dem Umzugskram stehend, hatte ich keinerlei Interesse, mich jetzt auf irgendwelche Telefonate einzulassen. Daher lud ich die Sprachnachricht nicht aufs Smartphone herunter und hörte sie mir entsprechend auch nicht an.
Irgendwann zwang die Dunkelheit zum Aufhören. Eine schnelle Pizza und ein Bier zum Abendessen als optimale Versorgung für den geschundenen Körper. Dann nach Hause, Staub und Spinnweben aus den Haaren waschen und vor dem Gang ins Bett noch einen letzten Blick in die eMails des Tages. Nun am heimischen Rechner konnte ich auch einfach einen Doppelklick auf die Sprachnachricht machen. Und wurde damit ziemlich überrascht, denn es handelte sich mitnichten um die Personalvermittlungsagentur.
Eigentlich hätte ich schon an der Nummer 0800 330 1000 den Anrufer erkennen müssen. Es ist zwar ein paar Jahre her, aber bis zur Beseitigung eines Wackelkontaktes in meiner Anschlussdose hatte ich mit dieser Rufnummer sehr, sehr häufig telefoniert: dem Kundenservice der Deutschen Telekom.
Die Anruferin stellte sich als Mitarbeiterin des „Fachbereichs Missbraucherkennung“ der Telekom vor und teilte mir mit, dass mein Telefonanschluss aus Sicherheitsgründen für Anrufe ins Ausland gesperrt wurde. Anlass dafür seien Telefonate von diesem Anschluss nach Senegal und Australien. Um diese Sperre aufzuheben, möge ich mich bitte am folgenden Montag gleich morgens unter einer vorgegebenen Telefonnummer melden. Die Uhrzeiten, zu der die fraglichen Telefonate stattgefunden haben sollen, teilte mir die Dame dann auf dem Anrufbeantworter auch gleich mit.
Vor Überraschung hing mein Kiefer herunter, während ich Google startete, um mich kundig zu machen, wie denn die Telefonvorwahlen der beiden Länder lauten, in die ich da angerufen haben soll. Und siehe da, Australien hat die +61 und Senegal in Afrika tatsächlich die +221. Exakt meine beiden Wahlfehler.
Ich bin an diesem Abend ziemlich grübelnd ins Bett gegangen. Letztendlich bewegt mich dieses Thema bis heute, wie man ja auch daran erkennen kann, dass ich ihm hier einen eigenen Blogeintrag widme. Sollte es mich beruhigen, zu wissen, dass auf mich und das durch meine Technik verursachte Geschehen von externer Stelle so sorgfältig aufgepasst wird? Oder verunsichert mich nicht vielmehr die Erkenntnis, das ganz offensichtlich jede einzelne meiner Handlungen von einer mir unsichtbaren Instanz haarklein beobachtet wird?
Am besagten Montag nahm mich dann das allgegenwärtige Chaos der laufenden Schreibtischarbeit wieder so sehr in Beschlag, dass ich den Anruf bei der Telekom glatt vergaß. Dienstag früh fand ich jedoch auch noch einen Brief der Telekom in meiner Eingangspost, der mit dem Satz begann „uns ist aufgefallen, dass mit ihrem Anschluss ungewöhnlich viel ins Ausland zum Ziel Senegal telefoniert wurde. […] Daher haben wir ihren Anschluss vorsorglich gesperrt„.
Damit die Sperre wieder aufgehoben werden kann, sollte ich die in dem Brief wiederholte Telefonnummer anrufen, was ich dann auch gleich tat. Die nette Frau am anderen Ende der Leitung schaute sich meine Gesprächsprotokolle an und bestätigte mir, dass exakt jeweils ein einziger Anruf von mir nach Senegal und nach Australien protokolliert wurde. Warum der Computer der Telekom hier dann sofort Alarm geschlagen hat, konnte sie nicht nachvollziehen. Mit ein paar Klicks schaltete sie mir die Möglichkeit ins Ausland zu telefonieren wieder frei, ich bedankte mich und legte auf. Das Freischalten war auch notwendig, denn schon an diesem Dienstag hatte ich wieder jede Menge Telefonate mit Geschäftskollegen in der Schweiz zu führen. Anbetracht der Erfahrung prüfe ich jetzt jede ins Display eingegebene Telefonnummer doppelt, bevor ich auf das grüne Wählen-Symbol klicke. Allerdings kenne ich mich gut genug, um zu wissen, dass diese Sorgfalt im Lauf der Zeit wieder einschlafen wird.
Sollte ich mir zukünftig dreimal überlegen, vielleicht einmal bei einer ägyptischen Tauchbasis anzurufen? Immerhin ist das auch Afrika. Eine Freundin von mir lebt zeitweise in Kenia. Mache ich mich eventuell des Telefonmissbrauchs verdächtig, wenn ich sie einmal anrufen wollte? Wie weit geht die Überwachung? Was darf ich alleine, und ab wann schaut mir irgendein Unbekannter auf die Finger? Wie oben schon gesagt, ich kann nicht wirklich genau meine Empfindungen definieren, wenn es um dieses Thema geht.
Dass man bei dem Benutzen elektronischer Medien grundsätzlich eine Spur der Nachverfolgbarkeit im Internet hinterlässt, ist hinreichend bekannt. Seien es die berühmten Cookies, anhand derer im besten Fall ein Browser den Internetbenutzer genau auf dem gewünschten Weg entlang leitet. Oder im lästigen Fall mit haufenweise Werbung zuspamt. Seit vergangenem Jahr nutze ich Office365 und bekomme regelmäßig eine „Analyse“ zugeschickt, in der detailliert mein Nutzungsverhalten protokolliert wird. Vor kurzem habe ich bei der Nutzung des Intranets eines meiner Kunden zweimal das Passwort falsch eingegeben und bekam prompt von einem Mitarbeiter aus der zentralen IT in London die Rückfrage, ob bei mir alles in Ordnung sei.
In der WhatsApp-Gruppe eines Vereins, in dem ich Mitglied bin, ging letztens der Kettenbrief um, indem auf die angeblich klammheimlichen Umstellungen seitens WhatsApp in Verbindung mit den AGB-Änderungen zugunsten von Facebook hingewiesen wurde. In Europa stehen die Datenschutzbestimmungen einer Datenweitergabe noch im Wege, im Rest der Welt ist solch eine Werbenutzung schon vollkommen normal. Beim alternativen Messengerdienst Telegram ist es gemeinhin bekannt, dass die Server irgendwo in Russland laufen und die Inhalte von Gott weiß wem mit gelesen werden.
All das ist nichts Neues. All das ist einem Nutzer des Internets durchaus bekannt und bewusst, wenn er denn mit halbwegs offenen Augen und eingeschaltetem Hirn an die Technik herangeht. Und doch ist es etwas ganz anderes, im Hintergrund überwacht zu werden, ohne davon zu wissen.
Tja, jetzt weiß ich davon. Geht es mir hierdurch jetzt besser?
Zumindest weiß ich jetzt nach einiger Recherche, dass Senegal als Hochrisiko-Land für Spam, Phishing und Trojaner gilt. Tatsächlich eine Region der Welt, in der ich so etwas weniger erwartet hätte. Und damit einmal mehr ein Hinweis darauf, wie überarbeitungswürdig das allgemeingültige Weltbild ist, welches man sich im Geiste ausmalt.
Die bald scheidende Bundeskanzlerin erklärte einmal vor längerer Zeit, wir würden mit der Nutzung des Internets Neuland betreten. Eine Aussage, für die sie viel belächelt wurde. Heutzutage läuft die komplette Telekommunikation nicht mehr analog, sondern rein digital über das Internet ab. Vielleicht sollten daher selbst diejenigen, die glauben sich in der Materie halbwegs auszukennen, ein bisschen vorsichtiger mit dem Lächeln sein.
Einen überwachungsresistenten Gruß
Euer Clark