Gesund in Zukunft heißt Moderna sein
„Im Sommer in eineinhalb Jahren, denke ich, dass man wieder ganz normal feiern kann“
Christian Drosten, Virologe, im Februar 2021
Als Teenager war ich mal in Groß-Gerau mit meinem Bonanza-Rad unterwegs (so richtig mit Fuchsschwanz dran). Im jugendlichen Übermut habe ich einem Auto die Vorfahrt genommen und flog im hohen Bogen über die Motohaube, bevor ich auf dem Bordstein aufschlug. Mein geliebtes Rad war Schrott. Und neben zahlreichen Platz- und Schürfwunden mein Unterschenkel glatt gebrochen. So landete ich in der Notaufnahme des Kreiskrankenhauses. Und kann mich noch so gut dran erinnern, als sei es gestern erst passiert, dass die beiden Krankenschwestern die Hilfe von drei Pflegern holen mussten, um mir eine Tetanus-Spritze in den Allerwertesten zu rammen. Der kleine Junge da auf dem Bett brachte trotz all seiner Verletzungen im Anblick der stählernen Nadel solche Bärenkräfte auf, dass ich lieber aus dem Krankenhaus gekrabbelt wäre, als mir eine Spritze geben zu lassen.
In all den vielen Jahrzehnten seitdem hat sich an meiner Einstellung gegenüber Spritzen absolut nichts geändert. Okay, ich bin mir heute der Notwendigkeit bewusst und lasse es unter Aufbringung all meiner Selbstbeherrschung über mich ergehen. Gerade im Zuge meiner zahlreichen Krankenhausaufenthalte im letzten dreiviertel Jahr wurde ich ja regelrecht perforiert. Aber jedes einzelne Stahröhrchen, das mir durch die Haut gerammt wurde, trieb mir Ströme von Schweiß auf die Stirn. Man kann vom Zittern tatsächlich Muskelkater bekommen, weiß ich inzwischen. 🙂
Aber es hilft ja alles nichts, mein Respekt vor der Seuche ist noch größer als die Angst vor einer Spritze. Also druckte ich mir den per eMail erhaltenen Katalog an Dokumenten aus (wer mich kennt, weiß, wie schwer mir so etwas fällt. Ich musste meinen Drucker erst mal abstauben, so selten wird der normalerweise benutzt). Nach aufmerksamem Lesen und Ausfüllen setzte ich meine Kreuzchen an der entsprechenden Stelle auf die Zettel und machte mich auf nach Groß-Gerau, um den mir zugewiesenen Termin wahrzunehmen.
Die Beschilderung führt den Autofahrer auf den Parkplatz des Kreiskrankenhauses. Damit man nicht falsch abbiegt, steht ein Sicherheitsdienst-Mitarbeiter gleich an der Straßeneinfahrt. Vom Parkplatz aus dann den Menschenmengen nach. Aber es hängen auch genug Schilder herum. Hier kann man sich nicht verlaufen. Und Laufen muss man eine Menge, denn es geht zu Fuß bis zur Gesamtschule auf dem Nachbargrundstück. Dort darf man einmal die Unterlagen vorzeigen, um das berechtigte Interesse am Einlass nachzuweisen. Dann folgt nochmal ein bisschen Fußmarsch, bis man in einer Schlange vor der Turnhalle steht. Für schlechtes Wetter wurde für die Wartenden sogar ein großes Zelt aufgebaut. Ich bin lieber in der Sonne stehen geblieben. Auch wenn ich ständig meinen Hut festhalten musste. Nathan, das gerade uns beutelnde Tiefdruckgebiet, verhielt sich gar nicht weise sondern eher halbstark.
Irgendwann durfte ich dann nach drinnen. Hut abnehmen, Brille absetzen, Maske ebenfalls. Und einen Blick in die Wärmebildkamera werfen. Ist schon lustig, wie viele Knoten man in ein Maskenband am Brillenbügel wurschteln kann, wenn man bei so einer Aktion halbwegs galant aussehen will. Ich hatte meinen Kampf, bis ich alles wieder an Ort und Stelle hatte. Okay, den Hut habe ich nicht wieder aufgesetzt.
Finger desinfizieren ist Pflicht, dann folgt in einem kleinen Verwaltungstrakt an einzelnen Schaltern das Analysieren der mitgebrachten Papiere. Zuerst einmal tippt der gute Mann auf der anderen Seite der Glasscheibe meine Daten in den Computer vor ihn ein. Neugierde packt mich. Immerhin musste ich ja all meine Daten bereits bei der Terminbeantragung online im Browser erfassen. Und sie stehen auch fehlerfrei auf der Terminbestätigung, die ich zurückgemailt bekommen hatte. Auf der auch ein QR-Code zum Abscannen abgedruckt ist. Warum um alles in der Welt müssen Name, Geburtsdatum und Adresse nochmal händisch neu eingegeben werden? Der Sachbearbeiter meint darauf nur recht kurz angebunden, dass in dem QR-Code nicht alle Informationen enthalten seien. Er wirkte ein bisschen gekränkt. Wie konnte ich es auch nur wagen, die Werthaltigkeit seiner Arbeit in Frage zu stellen.
Anschließend werde ich aufgeklärt, dass mein mitgebrachter Informationsbogen veraltet ist. Stand vom 01. April 2021. Inzwischen wurden ein paar Angaben für Schwangere ergänzt. Nun mag mein Bäuchlein inzwischen vielleicht langsam die Ausmaße einer Schwangerschaft annehmen, aber ich versuchte den meine Unterlagen bearbeitenden Mann dennoch davon zu überzeugen, dass diese Änderungen wohl kaum für mich relevant sein dürften. Aber kein Erbarmen, der Drucker lief schon und ich bekam weitere zwei Blätter doppelseitig bedruckt zum Überfliegen und Unterschreiben hingelegt. Ein Hoch auf unseren deutschen Verwaltungsapparat. Am Ende der Prozedur wurde dann mein ganzer mitgebrachter Stapel Papier zusammen mit den gerade frisch produzierten Dokumenten eingescannt. Damit ich auch weiß, was mit meinen Daten in der EDV des Impfzentrums passiert, bekam ich noch einen weiteren doppelseitig bedruckten Informationszettel „zur Verarbeitung personenbezogener Daten“ in die Hand gedrückt. Die müssen hier offensichtlich lastwagenweise das Papier angeliefert bekommen. Jeden Tag neu. Nur um dann am Ende doch alles digital einzulagern. Das System scheint mir noch ein bisschen Optimierungspotential zu haben. Aber über den Digitalisierungs-Rückstand in diesem unserem Lande beklage ich mich ja fortlaufend.
Fortgelaufen ist dann zwischendurch auch mein Sachbearbeiter, denn er musste jemanden aus dem medizinischen Personal holen, um abzuklären, ob mein Entlassungsbericht aus der Frankfurter Herzklinik wirklich als Nachweis der geforderten Vorerkrankungen ausreicht. Alles, was sich nicht „Attest“ nennt, gilt erst mal als fragwürdig. Der zu Hilfe geholte Arzt klärte den Mann an der Tastatur dann auch lachend auf, dass diese Unterlagen weit mehr als ausreichend sind. Es muss halt eben alles seine Ordnung haben. 😉
Nachdem ich dann meinen Papierkram zurückbekommen habe, durfte ich weitergehen. Nun in die ehemals große Sporthalle. Hier eine grüne Linie überqueren und Reise nach Jericho spielen. Stuhl für Stuhl arbeitet man sich vor bis zu den Behandlungskabinen. Ausreichend Zeit, sich in der Halle umzuschauen. Schon Wahnsinn, was hier für die Pandemiebekämpfung erschaffen wurde. Nicht nur die massiv wirkenden Trennwände, die auf der zum Schutz des Turnhallenbodens eingezogenen Zwischendecke stehen. Nein, rundherum wurden an den Wänden Kanäle mit gewaltigen Kabelbündeln verlegt. Die Infrastruktur hier zu schaffen war ein bisschen Aufwand, das ist nicht zu übersehen. Ab und zu muss man sich das mal wieder vors innere Auge rufen, wenn man sich über die schleppende Umsetzung der Impfkampanien beschwert.
Richtig lustig fand ich aber die Zettel, die über den ersten Stühlen hingen. „Ausweichwartezone Impflinge“ steht da drauf. Einen Begriff, den ich nach dem Heimkommen gleich mal im Duden nachschlagen musste. Tatsächlich, diese niedlich klingende Bezeichnung für auf eine Impfung wartende Menschen (und auch für ganz frisch geimpfte) gibt es wirklich. Klingt wie Schlumpf. Oder eine Pilzart im Wald. Oder vielleicht ein Toddler. Jetzt war ich dann heute auch mal ein „Impfling“. 😀
Wirklich bequem machen brauchte man es sich auf den Wanderstühlen nicht. Ständig wird eine der Behandlungskabinen frei. So wurde auch ich von einer freundlichen Frau in Blau aufgerufen und eine weitere blau gekleidete Dame gesellte sich kurz dazu, stellte sich als Ärztin vor und gab mir die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Nach Lektüre von zehn eng bedruckten Seiten Papier hatte ich keinerlei Fragen mehr. Die Ärztin wanderte dann auch gleich nach draußen und verschwand in der Nachbarkabine. Und ich durfte meinen Oberarm freimachen, während die junge Medizinerin noch ein paar Dinge im Computer erfasste. Dann kam sie um den Tisch und sprühte großflächig Desinfektionsmittel auf meinen Arm. Eine vorbereitete Spritze lag schon drohend auf der Ablage neben meinem Stuhl. „Nun wird es ernst“ spricht die Frau zu mir. Und während ich noch den Kopf zu ihr drehe, um in ihre schmunzelnden Augen über der Maske zu schauen, hängt sie gleich die Worte dran „und das war’s auch schon“.
Mir rutschte ein überraschtes „Hä?“ über die Lippen. Ich habe nicht einmal einen Pieks gespürt. Sicher, dass die Spritze in meinen Arm ging und nicht daneben? „Tja, Profi halt“, meint die Frau mit einem weiteren Schmunzeln und reicht mir meine ausgefüllte Impfbescheinigung. Dann bin ich auch schon entlassen. Ich darf den Linien auf dem Boden um die Ecke folgen, da stehen jede Menge einzelne Stühle im Raum verteilt und eine große Uhr hängt an der Wand. Hier darf man sich nun nochmals 15 Minuten hinsetzen und auf eventuelle Nebenwirkungen warten. Aufmerksame Sicherheitsmitarbeiter überblicken den Raum und sprechen aktiv die Wartenden an, die vielleicht ein bisschen schief oder unwohl aussehend auf ihren Stühlen sitzen. Hier gibt es kein explizites Aufrufen mehr, sondern man kann selbst entscheiden, wann man sich zum letzten Verwaltungsakt begibt.
„Auschecken“ steht über den vier Schaltern, die neben der Ausgangstür aufgestellt sind. Hier werden all meine Unterlagen nochmal durchgesehen und – Überraschung – nochmals komplett eingescannt. Auf meine verwunderte Rückfrage, dass doch der Kollege vorhin beim Einchecken schon alles gescannt hatte, klärt mich der junge Mann auf, dass ich mich nicht wundern soll, beim zweiten Impftermin wird erneut alles eingescannt. Und wieder sowohl vor als auch nach der Impfung. Die Verwaltung muss ihre Richtigkeit haben. Ich versuche gar nicht, im Kopf zu überschlagen, welch schier gigantische Dateimengen da wohl durch diese Impfung zusammenkommen. Welche Firma auch immer den Auftrag von der Bundesregierung erhalten hat, die erforderlichen Rechenzentren zu bauen, die sind saniert. 🙂
Die Tatsache, dass ich schon wieder anfange, in Alltagssituationen über den betriebswirtschaftlichen Hintergrund nachzudenken, werte ich als Indiz, dass ich wohl keine Nebenwirkungen zu verzeichnen habe. Ein bisschen optimistisch war ich mit der Einschätzung zwar schon, denn als ich direkt hinter dem Auscheck-Schalter aus der Turnhalle raus ins Freie trat und durch den Wind im Sonnenschein zum Auto lief, konnte ich schon ein leises Kribbeln in mir spüren. Eindeutig hat mein Körper zu arbeiten begonnen. Aber das ist ja letztendlich auch Sinn und Zweck der Impfung. Am Abend stellte sich dann noch ein bisschen Druckgefühl rund um die Einstichstelle ein. Als ob man sich heftig gestoßen hat. Und ich bin ununterbrochen am Gähnen. Vielleicht hätte ich mir die Zusammensetzung des Zeugs doch noch genauer anschauen sollen. „Kann Spuren von Schlafmittel enthalten“, oder so ähnlich.
Sechs Wochen warten heißt es jetzt für mich, dann kommt die zweite Ladung in den Arm. Aber jetzt weiß ich ja, was mich erwartet. Und dass ich trotz Spritzen-Phobie keine Angst zu haben brauche. Das Schlimme an der Impfung ist der Papierkram, nicht der medizinische Part. Alles in allem kann ich aber das Impfzentrum in Groß-Gerau echt lobend empfehlen. Reibungslose Abwicklung durch ein eingeübtes Team. Alle, mit denen ich zu tun hatte, sind gut drauf und machen mit einer Portion Humor das Beste aus der Sache. Die massiven Anlaufschwierigkeiten der Impfkampagne scheinen überwunden. Die Gesundheitsvorsorge funktioniert wieder.
Jetzt muss das nur rund um den Globus noch gleichmäßig umgesetzt werden, bevor dieser Virus an der Wirkung des Impfstoff vorbei mutiert. Hoffen wir mal, dass die Kampagne allen Krisen und Problemen der Welt zum Trotz weiter vorangetrieben wird. Ich bin jedenfalls eine Erfahrung reicher und nun in die Liga der Halbgeimpften aufgeschlossen. Weiter geht es!
Impflingische Grüße
Euer Clark