There is no glory in prevention

„Dinge kommen zurück und sind wieder in. Ich kann es kaum erwarten, bis Moral, Respekt und Intelligenz wieder im Trend sind.“
Denzel Washington Jr., afroamerikanischer Oscarpreisträger

Alles nur eine Frage der Prioritäten. Ein Satz, den mir so viele Coaches schon vorgebetet haben, dass er in mir inzwischen regelrechte Aggressionsschübe lostritt. Wenn ein an sich gesunder Mensch abnehmen will, muss er nur die Kalorienzufuhr reduzieren. Wenn ein Kettenraucher seiner Lunge und seinen Mitmenschen etwas Gutes tun will, muss er nur die Finger von der Kippenschachtel lassen. Wenn jemand eine Fremdsprache lernen will, muss er nur morgens ein bisschen früher aufstehen und jeden Tag eine Stunde ins Lernen investieren. Nebenbei kann er dann auch noch eine Runde joggen gehen und sein Seelenheil durch eine Meditation stärken. Ja, ja, wenn, wenn, wenn. Alles nur eine Frage der für sich selbst festgelegten Priorität. Blödsinn!

Vor vielen Jahren hatte ich einmal eine selbständige Seelenärztin, Doppeldoktor in Psychiatrie und Psychotherapie, als Kundin. Ein Ass in ihrem Job. Ich kam mit allerlei Anliegen rund um Buchhaltungsthemen zu ihr und hatte zehn Minuten später das Gefühl, auf der Couch zu liegen. Telefonate begann sie nie mit den Worten „Hallo, wie geht’s“, sondern eher mit einem „Was machst Du!“. Mir ist selten ein Mensch begegnet, der mich so ganz nebenbei ständig dazu brachte, mein eigenes Leben zu reflektieren. Irgendwann brauchte sie keine Buchhaltungsleistungen mehr, sondern nur noch jemanden, der sich um die Einkommensteuer kümmert. Nicht mein Aufgabenfeld, daher wechselte sie zu einem Steuerberater und unsere Wege trennten sich. Doch bis heute kommen mir die Unterhaltungen mit der Frau immer wieder in den Sinn, wenn es um das Thema der Prioritätensetzung geht. Ihre einfache These zu dieser Fragestellung: alles nur abhängig vom Schmerzreiz.

Ein Mensch kommt in Bewegung, wenn es anfängt, weh zu tun. Oder konkreter gesagt sogar erst dann, wenn der Schmerz ein Maß erreicht, in dem er unaushaltbar wird. In meinem Umfeld habe ich mehrere Personen, die seit vielen Jahren mit Arthrose in den Knien zu kämpfen haben. Wie oft erlebe ich diese Menschen, wie sie mir mit schmerzverzerrter Miene einen lange auswendig gelernten Katalog an Ausreden runterbeten, warum sie eine medizinische Behandlung für unangebracht halten. Künstliche Knie halten ja nur ein paar Jahre, dann muss man als alter Mensch die OP nochmal wiederholen. Und es gibt ja so viele Komplikationen, die auftreten können. Und man ist nach der Operation ja dann über zig Monate völlig hilflos. Und und und. Ich habe längst aufgehört, mich in diese Diskussionen hineinziehen zu lassen. Toi, toi, toi, mit meinen Knien habe ich bislang auch keinerlei Probleme, trotz einem Pfund zu viel Material um den Bauchnabel. Aber dafür trage ich inzwischen zwei metallene Verschraubungen im Genick mit mir herum. Wodurch ich mir die Kompetenz zutraue, ein positives Bild vom heutigen Stand des chirurgischen Handwerks zu zeichnen.

Gerade aktuell hat sich nun eine Freundin tatsächlich nach langen Jahren des Leidens dazu durchgerungen, sich gleich beide Knie auf einmal raussägen und durch ein Metall-Kunststoff-Gemisch ersetzen zu lassen. Dienstags Operation. Mittwochs erster Gang alleine zum Klo. Donnerstags Training Treppensteigen unter Zuhilfenahme von Krücken. Montag drauf Entlassung aus dem Krankenhaus mit bester Empfehlung für die ambulante Rehabilitation in den nächsten drei Wochen. Manch eine Erkältung legt einen Menschen länger lahm, als dieser Eingriff.

Doch bevor mir nun irgendwer unterstellt, ich bekäme Provision seitens der Pharma-Lobby, will ich zum eigentlichen Thema zurückkommen. Dass unser Gesundheitssystem in ziemlicher Schieflage ist und Krankenhäuser eine Quote an Operationen auferlegt bekommen, die sie machen müssen, selbst wenn die Patienten eigentlich gar keinen Bedarf daran haben, ist mir nur zu gut bekannt. Als unser im Mai 2025 aus dem Amt geschiedener SPD-Gesundheitsminister im Jahre 2004 sein Fallpauschalen-Konzept über das deutsche Gesundheitssystem ergoss, durfte ich mich gerade als Interims-Geschäftsführer einer Rehaklinik mit den ohnehin schon zu dünnen Kostendeckungsbeiträgen herumschlagen. Dem Thema alleine könnte ich einen ganzen Artikel widmen, doch heute will ich lieber bei den Schmerzgrenzen bleiben. Oder genauer gesagt, bei den Punkten, an denen Menschen eeeendllich beginnen, eine Veränderung loszutreten. Und das gilt für den Mensch als Individuum genauso, wie für die Menschheit im Kollektiv. Tut etwas Unangenehmes nur ein bisschen weh, wird es gerne mal weg ignoriert. Erst wenn der Schmerz zu tobender Rage im Schädel führt, beginnt sich Handlungswille zu formen. Jedoch dann meistens in unüberlegter, Hauptsache schnell wirkender Form.

In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die negative Auswirkung der Energiegewinnung aus fossilen Materialien zweifelsfrei wissenschaftlich bewiesen. Aber die Fluppe im Mundwinkel auf der Party heute macht Spaß, um den Lungenkrebs am Ende meiner Tage kann ich mich später kümmern. Das Thema wird bis heute mit viel Aufwand weg ignoriert. Bereits Ende der 80er Jahre wurden erste Stimmen laut, die auf die durch menschliche Lebensweise verursachte rapide Beschleunigung des Artensterbens hingewiesen haben. Aber was juckt es mich denn, wenn ein paar Chinesen jetzt auf dem Acker mit Q-Tipps von Pflanze zu Pflanze gehen und den Job der ausgestorbenen Insekten übernehmen. Meine Papaya will ich gefälligst das ganze Jahr über im deutschen Supermarkt liegen haben. Seit gut einem Jahrzehnt steht nachgewiesenermaßen fest, dass spätestens die übernächste Generation hier in Deutschland ein massives Problem mit der Versorgung mit sauberem Trinkwasser erwarten darf. Ist doch Quatsch, meine Regentonne im Garten ist letzte Woche schon wieder übergelaufen, weil es doch ständig regnet. Ich glaube, ich könnte hier noch stundenlang weiterschreiben, sei es Energieversorgung und Ölkrise oder Finanzkrisen oder der Umgang mit Pandemien. Doch der Punkt, auf den ich hinaus will, dürfte bereits rübergekommen sein: ohne wirklich schmerzhaften Handlungsdruck schlichtweg keine Handlung. Das ist des Menschen ureigene Unart, ein Relikt der auch durch Evolution nicht aus den Genen eines Säugetiers zu beseitigenden, gottgegebenen Faulheit.

Aber was hat mich heute früh denn so getriggert, dass ich all diese Gedankengänge in getippte Worte pressen möchte? Ein auf LinkedIn gepostetes Meme, das eigentlich schon einen Bart haben müsste: das oben erwähnte Zitat des meines Erachtens zu Recht sehr erfolgreichen US-amerikanischen Schauspielers. Doch leider wird dieses Zitat des überzeugt gläubigen Christen nur zu gerne aus dem Kontext gerissen. Denn seinen Appell an die Menschen, sich auf Eigenverantwortung und kritisches Denken zu fokussieren, greifen die Medien eher ungerne auf. Denken macht Arbeit. Kann man später noch machen, siehe oben. Der Hollywoodstar bezeichnete die Gesellschaft im Ganzen einmal als „Sklaven der Information“, und ich glaube, treffender kann man das heutzutage auftretende Phänomen des allgegenwärtigen Gegeneinanders gar nicht mehr bezeichnen.

So kam es auch, dass ich nach einem kurzen Aufregen über den wiederholten Missbrauch des Zitates anfing, selbst ein bisschen zu recherchieren. Nicht gleich wieder zu den ganz großen Themen, wie dem Kapitalismus, dem bereits Karl Marx einen Raub von Freiheit und Entstehung von Wesensentfremdung unterstellte, oder zur Globalisierung, deren Für und Wider tatsächlich eine Betrachtung wert sein sollte (by the way, gibt es eigentlich Attac noch? Ist ziemlich still geworden um die ehemals so lauten Rebellen). Nein, ich habe mir das Internet vorgeknöpft. Genauer gesagt, die wahrlich kümmerlich zu nennenden Versuche der Menschheit im Ganzen, diesem undurchsichtigen System irgendwelche Kontroll- und Steuerungs-Instanzen aufzuzwingen. Zwölf Jahre ist es her, seit unsere damalige Bundeskanzlerin ‚Mutti‘ Angela Merkel dem US-amerikanischen Präsidenten erklärte, das Internet sei für uns alle Neuland. Haben wir die Zeit seitdem genutzt, um an dem Zustand etwas zu verändern?

Um es mal ein einem sehr kurzen Satz zusammenzufassen: nein. Ich gestehe, dass mich das Ergebnis meiner stundenlangen Recherche selbst überrascht hat. Die Menschheit hat eigentlich ausreichend Erfahrung, um zu wissen, dass neue Technologien immer und immer wieder zu Zwecken eingesetzt werden, die weniger heilsbringend ausgehen, als sie angepriesen werden. Schießpulver zur Erstellung von Feuerwerkskörper ist okay, aber was macht der Mensch daraus? Energiegewinnung durch die Spaltung von Atomkernen könnte unserer strombenötigenden Welt einen positiven Beitrag leisten. Doch was baut der Mensch aus angereichertem Spaltmaterial? Raketen entwickeln, um das Weltall zu erforschen, klingt wie eine sehr gute Idee. Allerdings lassen sich mit solchen Trägersysteme auch ganz andere Dinge an Orte transportieren, wo man etwas kaputtmachen möchte. Im ewigen Eis nach der Geschichte der Erde forschen, um aus Vergangenem Wissen für die Zukunft zu generieren, ist ein erstrebenswertes Vorhaben. Doch Geldmittel dafür werden immer nur dann locker gemacht, wenn sich irgendwie ein militärstrategischer Nutzen daraus gewinnen lässt. Es dreht sich immer wieder um den gleichen Punkt: sobald Macht und Gier zum Tragen kommen, wird etwas unternommen. Solange es nur um Wissensgewinn im allgemeinen geht, ist es der Gesellschaft generell zu egal, um beachtet zu werden. Diese Problematik haben schlaue Menschen irgendwann erkannt, zumeist leider erst nachdem es zu einem mehr oder minder großen Schadensfall gekommen ist. Rund um den Globus haben sich dann die besten Denker und Politiker in endlos erscheinenden Auseinandersetzungen auf gemeinsam anerkannte Richtlinien verständigt. So entstanden im Laufe der Zeit der Weltraumvertrag, der Antarktis-Vertrag und die Atomwaffensperrverträge. Doch nach einem „World Wide Web-Vertrag“ sucht man völlig vergeblich.

Ausgerechnet in Ungarn, dem Land der Europäischen Union, dessen Staatsführung man ganz bestimmt nicht als Referenz für freie Meinungsäußerung und demokratische Grundwerte anführen kann, wurde der einzige Grundstein für ein klappriges Behelfsmittel gelegt. Mit der 2001 vereinbarten ‚Budapester Konvention‘ und dem 2022 darauf aufgesetzten zweiten Zusatzprotokoll, dem man ein Pluszeichen als Stilmittel verpasst hat, wurden erste Schritte zu einem völkerrechtlichen Abkommen zur Internetbewertung in Sachen Kriminalität festgelegt. Daneben versucht sich die OECD mit Schubkarrenladungen voller Empfehlungen, die als Soft Law ohne jegliche Verpflichtung eher in den großen Topf des Wunschdenkens fallen.

Und dann wundern wir uns heute, dass das Internet ganz generell zur Waffe umgemünzt wird? Ich bin kein Befürworter von irgendwelchen Sternchen-Vorschriften, aber das heißt nicht, dass mir die Macht des Wortes an sich nicht bekannt sei. Nachdem sich meine Mutter ein paar Monate nach meinem achten Geburtstag vorzeitig ins Jenseits zurückzog, übernahm eine ausgebildete Magister Pädagogin zwei Jahre später die Position der Stiefmutter in meinem Leben. Gott weiß, ich kann Bücher darüber schreiben, wie schmerzhaft verbale Attacken von einem Menschen sein können, der sein Handwerk beherrscht. Daher gerate ich bei der ganzen Gender-Debatte auch immer wieder in einen tiefen inneren Zwiespalt. Mir ist der Anlass, wegen dem eine Reform des Sprachgebrauchs erforderlich ist, absolut bewusst und ich würde es sehr befürworten, die diskriminierende Wirkung des berühmten generischen Maskulinums zu überwinden. Aber, um mich da mal etwas drastisch auszudrücken, die allermeisten bislang vorgebrachten Lösungsansätze hierzu sind schlichtweg Kacke. Und der ganze Medienrummel rund um dieses gemessen an den wahrlich lebensbedrohenden Problemen unserer heutigen Zeit völlig nebensächlichen Themas führt einfach nur zu einem allgegenwärtigen Stammtischgebrüll von Stimmungsmachern ohne jeden sachlichen Schimmer.

Womit wir dann wieder beim Internet und der völlig fehlenden Regulierung dessen Nutzung angekommen wären. Denkspiel: Wenn ein einzelner ultrareicher Mensch in die Lage kommt, alle Fernsehsender der Erde aufzukaufen und dann die Anweisung gibt, über alle Kanäle von morgens bis abends die Information auszustrahlen, dass das Trinken von Wasser giftig ist, würde ich die These aufstellen, dass ein Drittel der Menschheit binnen kürzester Zeit lemmingtreu einfach verdurstet, während die anderen beiden Drittel daran zugrunde gehen, weil sie sich gegenseitig die Rübe einschlagen beim Streiten darüber, ob nun ein Becher Wasser am Tag doch okay sein könnte oder der Konsum von Wasser aus Plastikbechern dem aus Glasflaschen vorzuziehen ist. Die Medienmacht ist inzwischen so dermaßen allgegenwärtig und umfassend, dass es für die Akteure am Hebel ein Kinderspiel ist, von der eigentlichen Thematik zu Nebensächlichkeiten überzuleiten und diese dann dermaßen mit Konfliktpotential aufzuladen, dass am Ende überhaupt keiner mehr einen wirklichen Überblick hat. Außer vielleicht einer gewissen Elite, die das Ganze von oben steuert. Willkommen in der Welt der Schwurbler und Aluhutträger.

Vielleicht ist mir das Meme heute früh auch nur so negativ ins Auge gefallen, weil ich mich gestern Abend erstmals selbst dabei erwischte, wirklich bewusst misstrauisch zu werden. Auf Facebook hatte ein Bekannter einen Zeitungsausschnitt des People Magazines aus dem Jahr 1998 gepostet, laut welchem der heutige Präsident der USA die Wähler der Republikanischen Partei als ziemlich einfältiges Volk bezeichnete, denen man einfach alles so erzählen könne, dass sie es auch wirklich glauben. Das Irre daran ist, dass es dem orange gepuderten Möchtegernkönig tatsächlich zuzutrauen ist, solche Sprüche von sich zu geben. Doch ich will mich weiterhin guten Gewissens eher als Realist bezeichnen können, also habe ich das Internet nach dem Ursprung des Artikels befragt. Und tatsächlich mehrere Faktenchecks zu genau diesem offensichtlich bereits seit einigen Jahren im Internet kursierenden Artikel finden können. Alle behaupten eintönig, dass es sich um einen Fake handelt, Trump hat diese Aussage niemals getroffen. Und genau an der Stelle merkte ich dann, wie mein Hirn anfing, hohl zu drehen. Sämtliche Websites zu dem Thema sind US-amerikanischen Ursprungs. Warum sollte sich ein Plattformbetreiber eines anderen Landes auch mit dem Checken von Fakten der Amerikaner beschäftigen. Doch entsprechen die Faktenchecks der nordamerikanischen Medien heutzutage wirklich noch den Fakten? Oder werden hier nur Gegenbehauptungen gepostet, um ursprünglich wahre Aussagen zu beseitigen, die man nicht mehr aus dem Netz raus bekommt? Was ist denn eigentlich noch wahr? Habe ich als End-Nutzer vor meinem heimischen Bildschirm überhaupt noch irgendeine Chance, irgendetwas verlässlich zu prüfen, was mir „das Internet“ als die absolut einzige Wahrheit verkauft?

Tja, und so sitze ich dann nun hier und sinniere über das Zitat und dessen Aussage. Sollte man es heutzutage mit der Angst zu tun bekommen? Gibt es etwas, das all die Prepper dieser Erde nicht in ihren Kellern einlagern können: wahres Wissen? Wann beginnt man vom wirklichkeitssuchenden Menschen zum Hypochonder zu mutieren? Kann ich noch glauben, was ich weiß? Und vor allem… wer beginnt denn endlich damit, dieser Erosion der Stabilität von Wissen Einhalt zu gebieten? Tun diejenigen, die sich gerade als Bewahrer der Freiheit aufspielen, das wirklich? Oder kann man sich jede beliebige Wahrheit längst mit ausreichend Geld kaufen?

Ich glaube, es ist an der Zeit mal wieder den einen oder anderen verstaubten Film in den DVD-Player zu legen. Filme aus Zeiten, als die Welt noch einfach gestrickt war. Damals, als man noch gar nicht wusste, was man alles nicht weiß. Und sich entsprechend auch nicht über Dinge aufregte, mit denen man sich eigentlich überhaupt nicht zu beschäftigen brauchte. Die gute alte Zeit eben. Wird die auch irgendwann wieder im Trend sein? Ich kann es kaum erwarten.

Nach langer Pause wiedergekehrte Grüße

Euer Clark

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