Ich glaub, ich bin im falschen Film.
„Sei ganz tolerant oder gar nicht. Gehe den guten Weg oder den bösen. Für den Mittelweg bist du zu schwach.“
Heinrich Heine, deutscher Dichter
Wir sind das Volk! In mir kommt enormer Zorn auf, wenn ich diesen Satz irgendwo höre oder lese. Ich kann mich erinnern, als sei es gestern gewesen. Ich saß mit zwei Arbeitskollegen und deren Bruder in Pfungstadt in einem abgedunkelten Wohnzimmer, hielt eine halbleere Flasche Pfungstädter Pils in der Hand und folgte der Sonderberichtserstattung im Fernsehen. Die Mauer ist gefallen. Die Grenze ist offen. Menschen fallen sich in die Arme vor Freude. Deutschland ist endlich wiedervereint. Es kommt zusammen, was zusammen gehört. Was immer die Zukunft auch bringen mag, alles wird gut.
Russland war eins seiner restlos ausgelutschten und längst nicht mehr finanzierbaren Kolonialgebiete los und das ach so wohlhabende Westdeutschland freut sich noch darüber, dieses Ödland zu übernehmen und dort mit einem Megaaufwand an Geld und Kraft binnen kürzester Zeit 50 Jahre Entwicklung nachzuholen. Das wird Löcher in unseren Wohlstand reißen, mahnten damals schon viele Stimmen. Aber in der Euphorie des Zeitgeschehens gingen diese unter. Muttis Vorgänger mit seiner Leidenschaft für pfälzischen Saumagen verwendete zwar nicht die Worte „Wir schaffen das“, aber seine politische Riege realisierte doch das schier unmöglich scheinende und baute die Rahmenbedingungen für ein gemeinsames, großes Deutschland. Ein Deutschland, auf das die Deutschen wieder stolz sein können. „Wir sind das Volk“. Das war der Schlachtruf, mit dem diese Umwälzung damals getragen wurde. Und tatsächlich fühlten sich auch die Wiedervereinigungs-Skeptiker ein bisschen angesprochen und waren vielleicht sogar ein bisschen stolz darauf, ein Teil dieser Meisterleistung zu sein.
Bis dann im Laufe der folgenden Jahre die Rechnung für diese große Party folgte. Drastische Einschnitte im Rentenniveau. Die Erkenntnis, dass Norbert Blüm mit seinem Schlachtruf „Die Rente ist sicher“ wohl nur die gesicherten Pensionen der Berufspolitiker meinte. Der anfangs als „nur vorübergehend“ verkaufte Solidaritätszuschlag, den das Land seitdem nicht mehr los wird. Unendliche Diskussionen über den Länderfinanzausgleich. Die Feststellung, dass der Osten Deutschlands einfach weiterhin ein Zuschussmodell bleibt, weil den ganzen großen Reden und dem vielen hineingepumpten Geld einfach keine Taten für Strukturaufbau und Zukunftsaussichten für die Menschen folgten. Dreißig Jahre ist die Wiedervereinigung nun schon her, und noch immer tickt dieses Land im Geiste in der Trennung zwischen ‚Ossis‘ und ‚Wessis‘.
Wir verdauen noch schwer an diesem geschluckten Backstein. Wenn diese harte Kost unser einziges Problem wäre, bestünde vielleicht die Hoffnung, dass wir mit dem Schlucken einer bitteren Pille mit einem blauen Auge davon kommen. Aber wie immer im Leben kommt es anders. Die sogenannte westliche Welt hat ihren Wohlstand auf dem nicht zu Unrecht schwer umstrittenen System der Marktwirktschaft aufgebaut. Und auch wenn wir in Deutschland diesen Fakt durch die schönfärberische Bezeichnung der „sozialen“ Marktwirtschaft zu mildern versuchen, bleibt der Kern bestehen: wir reden hier von Kapitalismus in seiner Reinform.
Zur Erinnerung: Islam ist der Glaube an Friede und Freiheit, Islamismus ist die terroristische Metzelei, unter der bald die Hälfte des Planeten leidet. Sozial ist das Mitgefühl und die Hilfe am Nächsten. Der Starke schützt und stützt den Schwachen. Sozialismus hingegen ist das System, welches bekanntlich in der östlichen Hemisphäre der Erde gänzlich gescheitert ist und nur einen Haufen verbrannte Erde, Armut und Rückstand übriggelassen hat. So ist es auch mit dem Kapital. An sich etwas sehr Gutes. Sowohl als liquides Mittel als denn auch als Wirtschaftsfaktor ist Kapital die Grundlage eines jeden Vorwärtskommens. Der Kapitalismus jedoch ist das brutale Ausnutzen der Kraft des Stärkeren. Wer schon hat, der rafft noch mehr. Wer nichts hat, der wird auch noch in den Schlamm gedrückt.
Solange dieses System in einer einzigen riesigen Wachstumsphase immer größer wird, tragen es alle mit. Diejenigen, die ohnehin schon viel haben, bekommen noch viel, viel mehr. Diejenigen, die nur wenig haben, mucken aber nicht auf, denn auch für sie bleiben ein paar Brotkrumen übrig. Nicht genug, um aus dem Ruder zu laufen, aber gerade ausreichend genug, um steuerbar, um beherrschbar zu bleiben. Wenn jedoch dieses ewige Wachstum irgendwann ins Stocken kommt, tun sich plötzlich Löcher auf. Ein Zitat aus dem Liedtext der EAV fällt mir an dieser Stelle ein: „Wie sagte schon der große Ökonom Karl D-Marx? Es wird das Proletariat ohne Kohle rabiat“.
Wir sind von der Talsohle noch weit entfernt. Noch immer lassen sich Smartphones für 1.000 € verkaufen und die Urlaubsbranche boomt. Die breite Masse der Menschen hat noch Kapital in rauen Mengen zur Verfügung. Aber einzelne Gruppen rutschen immer weiter ab. Noch sind diese Menschen nicht wirklich organisiert unterwegs. AfD und diese neue Sammelbewegung ‚Aufstehen‘ unternehmen Versuche, hier eine Bündelung der Kräfte herzustellen. Ob die Zeit dafür schon reif ist, sei dahingestellt. Für Stimmungsmache genügt der aktuelle Zustand jedoch allemal.
Wie der Wolf im Märchen mit den sieben Geißlein hängen wir am Brunnenrand, tief unter uns das ersehnte Nass zum Kühlen unserer trockenen Kehle. Im Bauch lasten uns die schweren Ziegelsteine, die wir da reingewürgt bekommen haben. Und während wir angeschlagen verzweifelt um Halt suchen, tritt uns ständig eine dieser kleinen Ziegen in den Hintern, um uns über den Brunnenrand in die Tiefe zu schubbsen. Sind diese Futtertiere denn total irre, wollen sie doch offensichtlich ihre einzige Wasserstelle mit einem Kadaver vergiften?! Es ist in diesem Spiel längst nicht mehr genau zu erkennen, wer denn der Gute und wer der Böse ist. Zu vernetzt sind die Abhängigkeiten untereinander.
Und in genau dieser Situation kommt dann auch noch die böse Schwiegermutter zu Besuch. Okay, anderes Märchen. Aber der Vergleich passt. Denn dass uns in dem Zustand der inneren Zerrissenheit jetzt auch noch die Auswirkungen unserer eigenen Raffgier heimsucht, haut noch mächtige Kerben in das mürbe gewordene Fundament unserer Gesellschaftsordnung. Autos und Bomben ins Ausland liefern ist okay, dadurch verdienen wir ja Geld. Dass dort damit Arbeitsplätze und Lebensraum verloren gehen, ist deren Problem, nicht unsers. Diese Denkweise funktionierte einmal. Inzwischen leben wir in einer Welt, in der die gebeutelten Menschen sich irgendwann bei der Auswahl zwischen dem Niedergemetzelt-Werden durch die eigene Regierung und der eventuell anstehenden Schlägerei mit europäischen Hooligans im letzteren Fall die größeren Erfolgschancen ausmalen. Also die Taschen packen und zusehen, dass sie irgendwie ins gelobte Land kommen.
Gründe für die Flüchtlingsströme gibt es zahlreiche. Tagtäglich werden diese medienwirksam überall diskutiert. Aber an den Ursachen will keiner wirklich etwas ändern, scheint es. Menschen durch hetzerische Schlagzeilen in eine bestimmte Richtung, zu einem bestimmten Meinungsbild zu steuern, fällt den Medien leicht. Und ganz offensichtlich hat die komplette Nachrichtenwelt nichts anderes im Sinn. Konstruktive Berichterstattung oder das Anstoßen einer wirklich die Situation verbessernden Diskussion ist nicht im Sinne des Zeitgeistes. Nur noch Verteidigen der eigenen Pfründe. Und dabei in Kauf nehmen, dass die breite Masse der Gesellschaft irgendwann in einer Stimmung ist, in der sie über Leichen gehen wird.
Mahnende Stimmen gibt es überall. Aber sie sind leise. Sie gehen im Getöse der trommelnden Kriegstreiber unter. Gerade wenn ich mir die Berichterstattung nach den aktuellen Vorkommnissen in Chemnitz vor Augen halte, befürchte ich mehr und mehr, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir die aus ihrer Heimat Vertriebenen nicht mehr nur am Grenzzaun in ihrem Dreck ersticken oder im Mittelmeer ertrinken lassen, sondern es auch gesellschaftliche Akzeptanz findet, dunkelhäutige Menschen auf dem Markplatz am erstbesten Baum aufzuhängen. Schwarzmalerei? Ich glaube kaum, dass dem randalierenden Mob vor ein paar Tagen irgendwelche Gewissensbisse gekommen wären. Immerhin war das „das Volk“. Nach deren eigener Einschätzung. Und „im Namen des Volkes“ kann man schon manch ein Urteil fällen und gleich vollstrecken.
Wo kommt diese Aggression nur her? Futterneid? Angst? Vor was? Vor dem Fremden, dem Unbekannten? Mich persönlich beschäftigt längst eine ganz andere Frage: will ich ein Teil dieses Volkes sein? Die Antwort steht fest: ganz klar Nein! „Wir sind das Volk“. Nein, ich nicht!
Ich sehe mich als Mensch dieser Erde. Ich habe in meinem bisherigen Leben mit so vielen unterschiedlichen Nationalitäten aus nahezu allen Kontinenten zusammengearbeitet. Ja, ganz unstreitig prägen die meisten Herkunftsländer auch die Menschen, die von dort kommen. Natürlich sorgt eine andere Kultur, in der die Menschen aufgewachsen sind, für ein ganz anderes Verhalten, welches uns Westeuropäern durchaus auch fremdartig erscheinen kann. Aber muss denn dieses „fremdartig“ automatisch auch „abstoßend“ bedeuten? Wieso wird hier so schnell eine Vorverurteilung gefällt, ohne einen Vergleich zu anderen Situationen herzustellen? Nehmen wir doch mal als Beispiel Läden, in denen es zu direkten Verkaufssituationen kommt. Möbelhäuser beispielsweise. Oder noch besser Telefonshops der marktbeherrschenden Mobilfunkbetreiber. Meistens muss man in dieser Umgebung lange suchen, um einen Verkäufer zu finden, der nicht orientalische Wurzeln in sich trägt. Diese Menschen haben das Handeln, das Feilschen, das Überreden, schlichtweg das Umsetzen eines erfolgreichen Verkaufsgesprächs einfach im Blut. Natürlich kommt das aus der kulturellen Prägung der Menschen. Aber was ist denn daran schlecht? Anderes Beispiel: unsagbar viele Weltkonzerne haben ihre Zentrale in der kleinen Schweiz eingerichtet. Und das nicht wegen der guten Bergluft und den exorbitant hohen Lebenshaltungskosten dort. Nein, es ist die Arbeitsweise, die man den dort vorherrschenden Menschenschlag unterstellt, von der Präzision des Schweizer Taschenmessers und der Uhren bis hin zum Verwaltungs- und Bankenwesen sind das einfach kulturelle Grundprägungen, die unbestreitbar als gegeben vorausgesetzt werden können. Jede Region der Welt hat ihre Eigenarten, unter der die Bevölkerung sich entwickelt und deren Besonderheiten von einer zur nächsten Generation weitergegeben werden. Und natürlich gibt es auch überall Ausreißer von dem zu der Region gehörenden Durchschnitt.
Ein Gedankengang, der auch in den Medien nur sehr selten auftaucht. Nehmen wir mal an, in unserem geschützten deutschen Land würde eine Katastrophe für Zustände sorgen, unter denen ein Leben nur noch voller Mühe zu gestalten ist. Völlig egal, ob nun eine Naturkatastrophe oder eine menschengemachte kriegerische oder terroristische Bedrohung. Wer würde denn wohl am ehesten sein Hab und Gut zusammen klauben und sich auf den Weg in sicherere Regionen der Welt machen? Lieschen und Gustav Mustermann, die ihr Lebtag lang den Gartenzwerg vorm Haus abgestaubt und noch nie einer Fliege etwas zu Leide getan haben? Oder eher Georg Raffzahn, der als Mietnomade ohnehin schon fünfmal aus der Wohnung geschmissen wurde und kaum gesellschaftliche Verflechtungen zu sesshaften Menschen pflegt? Natürlich gehen erst einmal diejenigen auf Reisen, die den Mut zu Verzweiflungstaten verspüren und es mit Regelungen und Vorgaben ohnehin nicht ganz so eng nehmen. Man braucht nicht lange zu überlegen, um sich ausrechnen zu können, dass in der ersten Welle der über Westeuropa schwappenden Flüchtlingsströme überproportional viele Menschen stecken, die zur Sicherstellung ihrer Grundbedürfnisse auch mal lange, klebrige Finger an den Tag legen oder zur Durchsetzung ihrer Wünsche die Fäuste einsetzen. Aber kann man denn wirklich diese Menschen einfach als repräsentativ für das ganze Land annehmen, aus dem sie kommen?
Nein. Egal ob in Deutschland oder in irgendeinem anderen Land der Welt, die meisten Menschen tun sich extrem schwer, die Region zu verlassen, die sie als „ihre Heimat“ ansehen, vollkommen egal, wie schlecht es ihnen dort geht. So kommt es auch, dass es inzwischen schon zahlreiche Befragungen von Flüchtlingen gibt, die eigentlich nichts sehnlicher wollen, als zurückzukehren an den Ort ihrer Geburt. Nur können sie das nicht, weil dort Autokraten herrschen, die jeden aus dem Weg räumen, der nicht ihrer Meinung ist. Am besten gleich die Nachbarn links und rechts daneben noch mit in den Kerker sperren. Oder gleich den ganzen Straßenzug zusammen bomben.
Krieg ist nicht der einzige Grund für Flucht. Ich weiß das. Aber auch den Begriff des „Wirtschaftsflüchtlings“ kann ich nicht mehr hören. Wenn man im eigenen Land keine Chance geboten bekommt, eine florierende Wirtschaft aufzubauen, bleibt nichts anderes, als es woanders zu versuchen. Daran ist erst einmal nichts Verwerfliches. Wenn ich jedoch bedenke, wie schwer es mir fällt, den einen oder anderen Mitbürger deutscher Abstammung dazu zu bewegen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, weil die Angst vor dem hochkomplexen deutschen Bürokratiemonster zu groß ist, denke ich, dass es eigentlich nur einer ausgereiften Vorinformation der Menschen im Ausland bedürfte und sie würde es sich zweimal überlegen, ob sie denn zur Teilnahme am Wirtschaftsleben nach Deutschland kommen wollen. 😉
Probleme, wie diesen alles bremsenden Verwaltungsapparat haben wir ja zu allem Überfluss auch noch genug in unserem eigenen Land. Aber auch diese werden nicht angegangen. Man hat ja ein herrliches Thema, um von alledem abzulenken. Die bösen Flüchtlinge, die unser Land ins Chaos reißen und zum Untergang zwingen. Ich bleibe dabei: dazu brauchen wir in Deutschland keine Flüchtlinge. Das bekommen wir ganz alleine hin. Immerhin sind wir das Volk.
Mit heimatverbundenem Gruße!
Clark