Geld für ein Buch ist immer eine gute Investition

„Wir müssen davon ausgehen, dass wir den ‚Point of no Return‘ schon überschritten haben.“
Thomas Ward Crowther, Ökologieprofessor

Schon seit Wochen nervt es mich, dass ich keine Gelegenheit zum Schreiben finde. Der Abstand zum letzten Blogeintrag wird größer und größer. Aber je näher das Jahresende rückt, umso dringlicher werden die ganzen Aufgaben, deren Umsetzung ich mir vor Silvester noch vorgenommen habe. Oder deren Erledigung ich in diesem Kalenderjahr einem Kunden noch zugesichert habe. Also wandern all die vielen von mir immer mal wieder zwischendurch angefangenen Texte in der Rohfassung lange vor Vollendung direkt wieder in die virtuelle Tonne. Doch der Juckreiz in den Fingerspitzen bleibt.

Nun sollte ich jetzt eigentlich an der Fertigstellung einer Buchhaltung arbeiten. Aber meine Gedanken schweifen ab. Es fehlt an Konzentration. Ich ärgere mich darüber. Der Blutdruck steigt. Mir fällt das auf meinem Schreibtisch liegende Rezept ein. Vielleicht sollte ich mich einfach mal ablenken und zur Apotheke laufen. Ein Blick über die Bildschirmoberkante hinweg zeigt mir, dass es gerade aufgehört hat zu regnen. Das Jahr 2021 verabschiedet sich nochmal richtig nass. Mit über 10°C Tagestemperatur zwar ziemlich warm für diese Zeit. Aber halt eben auch ziemlich nass. Wenn man der Wettervorhersage trauen darf, wird die Nacht des Jahreswechsels wenigstens freundlich. Aber was nutzt das? Silvesterpartys werden keine stattfinden, Feuerwerk auch nicht. Trübe Stimmung bei sternklarem Himmel.

Das gesellige Beisammensein mit anderen Menschen vermisse ich. Das Feuerwerk hingegen nicht. Aus dem prolligen Kräftemessen „wer hat den dicksten Böller“ bin ich seit dem Teenageralter entwachsen. Vorfreude auf ein Feuerwerk habe ich in den letzten Jahrzehnten eher mit dem Gernsheimer Fischerfest verbunden, als denn mit dem Wechsel eines Kalenderjahres. Insbesondere, seitdem die neuen Jahre auch immer wieder nur die Unseligkeiten des Vorjahres zu überbieten scheinen. Bei solchen Grübeleien rutschen die Gedanken dann schnell wieder zum alles dominierenden Thema der Coronapandemie. Während ich um eine tiefe Pfütze herum laufe, wird mir klar, dass auch mein einleitender Satz inzwischen nur noch bedingt gilt. Geselliges Beisammensein zum Plaudern mit anderen Menschen will heutzutage auch schon sorgfältig abgewägt sein. Immer mehr muss ich mir eingestehen, intolerant zu werden, wenn es um die Forderung nach Verständnis für Impfverweigerer oder Leerdenker geht. Statt mich den im Regelfall fruchtlosen Diskussionen zu stellen, gehe ich solchen Unterhaltungen – und damit auch einem beträchtlichen Teil der Menschen – lieber aktiv aus dem Weg. Da war es wieder, das Thema Blutdruck.

Von der Apotheke zurück nach Hause laufe ich durch die Fußgängerzone in Gernsheims Stadtmitte. Die Magdalenenkirche ist festtaglich beflaggt. Aber der Fahnenstoff wiegt sich nur schwer, weil regennass im Wind. Ein bisschen weiter komme ich am Buchladen vorbei. Mittagsruhe, der Laden ist geschlossen. Doch im Eingangsbereich davor steht ein kleines Regal mit verschiedenen Büchern und einem Spendentopf oben drauf. Neugierig geworden lese ich das Schild daneben. Ein sehr nett gemachter Spendenaufruf fürs Ahrtal. Eine Aktion, die mir dermaßen gut gefällt, dass ich gleich darüber nachdenke, ob ich nicht irgendetwas dazu beitragen kann, die Blechdose mit barer Münze zu füllen.

Gerade an den vergangenen Feiertagen habe ich mich im Familienkreise über die Menschen unterhalten, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch in schönen, verschlafenen Örtchen lebten und nun ein Weihnachtsfest bei Freunden im Gästezimmer oder schlimmer noch in irgendwelchen Behelfszelten verbringen. Bei Notunterkünften denkt man schnell ans Mittelmeer und Flüchtlingsströme. Dabei ist es nur wenige Monate her, als endlich das Fluthilfe-Basislager am nur 200 km von mir entfernten Nürburgring abgebaut werden konnte. Manch eine Zeltstadt steht in der Gegend noch bis heute. Ich zögerte nicht lange, dann steckte ich einen kleinen Schein in die Dose, um die Sammelaktion zu unterstützen.

Letztens las ich in den Nachrichten, dass das Spendenvolumen und die Spendenbereitschaft noch nie so groß gewesen sei, wie heutzutage. Tatsächlich habe auch ich mich von dem allgegenwärtigen Spendenfieber ein wenig anstecken lassen und in den letzten Monaten einigen Organisationen je einen kleine Betrag zukommen lassen. Nichts desto trotz tue ich das immer wieder mit einem leichten Zucken, denn die Spendenwilligkeit der Menschen hat unangenehme Kehrseiten.

Zum einen dokumentiert die Spendierfähigkeit der Bevölkerung das vorhandene Vermögen. Zwar ist es erwiesen, dass die meisten Spenden von denen kommen, die selbst kaum etwas haben. Aber nichts desto trotz lässt sich aus der schieren Menge der inzwischen aufkommenden Spendenvolumen doch ablesen, dass mehr Menschen die Möglichkeit haben, sich von etwas Bargeld zu trennen.

Weit schlimmer wiegt jedoch meines Erachtens nach der Fakt, dass man mit solcher Spendenbereitwilligkeit indirekt die eigentlich zuständigen Personen und Organisationen aus der Verantwortung entlässt. Es entwickelt sich in der Politik und der Wirtschaft eine Art Selbstverständlichkeit, dass sich „andere“ schon um die Schadensbeseitigung kümmern werden. Das Interesse an Vorbeugung und Aufrechterhalten der Absicherungsstrukturen sinkt kontinuierlich. Mit dem Totschlagargument des Sparzwanges werden mehr und mehr Geldmittel eingespart. Wie viele Jahre ist es beispielsweise her, seit man den bundesweiten Katastrophenschutz in die regionalen Freiwilligen Feuerwehren integriert hat? Klar, von der Fachkenntnis her ist das eine plausible Entscheidung. Aber das Werben um ehrenamtlich tätige Einsatzkräfte darf man dann nicht der Freiwilligkeit aufbürden, sondern es muss ins Staatshand (… und -Finanzierung!) bleiben.

Die Sonne bricht durch die Wolkendecke, während ich weiter laufe. Irgendwo lässt sich ein Regenbogen blicken. Sollte es noch ein schöner Abend werden? Ich wandere an meinem Haus vorbei zum Gernsheimer Hafen. Das Wasser steht tief. Friedlich fließt der große Fluss an unserer Schöfferstadt vorbei. Facebook erinnerte mich vor ein paar Tagen an meinen Bali-Urlaub über den Jahreswechsel vor vier Jahren. Damals musste ich um diese Zeit von der anderen Seite des Globus aus einen Bekannten bitten, mit seinem Geländewagen meinen Wohnwagen vom Campingplatz im Nachbarort runter zu ziehen, da dieser in den Hochwasserfluten des Rheins zu versinken drohte. Dabei sind die Rheinhochwasser, die wir heute im Zeitalter von Deichen und Poldergebieten erleben, ja eher vernachlässigbar. Nichts desto trotz zeigt uns Mutter Natur immer wieder gerne zwischendurch mal deutlich ihr Muskelspiel.

Während ich mich dem heimischen Schreibtisch wieder nähere, mäandern meine Gedanken zu den menschlichen Möglichkeiten, das zukünftige Wetter zu beeinflussen. Und dem Unwillen mancher Menschen, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. 300 Meter sind es vom Hafenbecken bis zu meiner Haustür. Keine zwei Meter Höhenunterschied. Wie würde ich mich fühlen, wenn mir das Wasser zu nahe kommt? Nein, ich brauche nicht sonderlich viel Fantasie, um davon überzeugt zu sein, dass meine Spende in die Sammeldose gut aufgehoben ist. Bevor ich mich wieder irgendwelchen Buchhaltungsaufgaben widme, werde ich einen kleinen Hinweis auf die Sammlung posten. Und vielleicht ein paar Gedanken mehr der Tastatur anvertrauen?

So kommt es am Ende doch noch zu einem Blogeintrag in diesem Jahr 2021. Ins neue Jahr gehe ich mit dem festen Vorsatz, wieder mehr zu schreiben. Aber da gibt es auch den Vorsatz, mehr Sport zu treiben. Und gesünder zu essen. Und mehr Zeit draußen zu verbringen. Und…
Okay. Auf jeden Fall genug Potential, um über Einhaltung oder Verwerfen von Vorsätzen zu berichten.

Spendierfreudige Grüße

Euer Clark

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