Hintergründe und Sehnsüchte eines Spätzünders

„Wenn einem aber das Meer seine Geheimnisse offenbart und das große Welterlösungswort ins Herz geflüstert, dann ade, meine Ruhe! Ade, ihr stillen Träume! Ade, ihr Novellen und Geschichten, die ich schon so schön begonnen und die nun nur schwerlich alsbald fortgesetzt werden!“
Heinrich Heine, deutscher Dichter

Bevor ich mich weiter in die politischen Gedanken verstricke, kann ich ja auch mal einen Schwank aus dem Leben dazwischen schieben. Immerhin handelt es sich hier um einen persönlichen Blog und nicht um die Website einer Partei im Wahlkampf. Je mehr ich mich jedoch mit dem Thema „wie könnte eine Partei der Zukunft denn aussehen“ beschäftige, umso mehr Lust bekomme ich, an der Gründung einer solchen mitwirken zu wollen. Aber im Alleingang macht sowas keinen Sinn. Ein paar Dutzend Mitstreiter wären da angebracht. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere ja durch meine Zeilen hier im Blog inspiriert? Dann sollte er oder sie auch wissen, was der Schreiber des Blogs denn so anstellt, während er nicht gerade vor der Tastatur sitzt.

Wenn man mich nach meinen Hobbys fragt, antworte ich gerne als erstes mit „die Feuerwehr“. Leider schaffe ich es schon lange nicht mehr, ein solch umfangreiches Ehrenamt in meine Freizeit einzubauen. Meine Teilnahme am aktiven Einsatzdienst liegt daher auch schon viele Jahre in der Vergangenheit. Aber „Feuerwehr“ ist mehr als nur das Hilfeleisten, während man eine Uniform trägt. Nein, „Feuerwehr“ ist eine Lebenseinstellung. Das Zurückstellen eigener Wünsche zugunsten des Gemeinwohls. Das Zusammenwirken von Menschen unterschiedlichster sozialer, kultureller, finanzieller Hintergründe mit dem gemeinsamen Ziel des Helfen Wollens. Helfen ohne Bedingungen und ohne die Erwartung eines Danks. An wen erinnert sich das Opfer eines Verkehrsunfalles? Immer zuerst an den Arzt, der die zerschmetterten Körperteile im Krankenhaus wieder zusammengeflickt hat. Aber nur sehr selten an die Menschen, die unentgeltlich nachts aus dem Bett gesprungen sind, um bei klirrender Kälte und im strömenden Regen ihr Bestes zu geben, den bewusstlosen Körper so schnell aus dem Autowrack zu schneiden, dass sich das Tätigwerden des Arztes überhaupt noch lohnt.

Der mentalen Grundhaltung des Feuerwehrdenkens werde ich sicherlich im Laufe der Zeit noch den einen oder anderen Artikel widmen. Letztendlich ist das „Miteinander“ ja auch einer der wesentlichen Ansätze meiner politischen Motivation. Ein bisschen weniger „ich“, dafür ein bisschen mehr „wir“ und uns allen würde es ohne wirklich spürbare Einbußen an Lebensqualität in kürzester Zeit erheblich besser gehen. Aber dazu, wie gesagt, im Laufe der folgenden Blogs dann mehr.

Heute möchte ich viel lieber auf eine Beschäftigung zu sprechen kommen, der ich gelegentlich mehr Freizeit zukommen lasse, als mir eigentlich zur Verfügung steht: das Tauchen. Das Vordringen in eine ganz neue Welt. Ein anderes, ein unbekanntes Universum, wie es Frank Schätzing so schon als Titel seines lesenswerten Buches nennt. Wenn man nur alleine in einem heimischen See einmal durch eine Sprungschicht taucht, an der das kalte, trübe Wasser der Tiefe auf die wärmere Oberflächenschicht trifft, weiß man, wo die Macher von Sience-Fiction-Filmen ihre Inspiration für die Gestaltung des fernen Weltraums herholen. Dieser mystische Nebel lässt das Leben an Land und die damit verbundenen Probleme weit entfernt erscheinen.

Ich unterhielt mich letztens mit einem Arbeitskollegen über Freizeitbeschäftigung und dabei logischerweise auch über das Tauchen. Er spielt professionell Frisbee (ja, das gibt es) und ist der Meinung, dass Scuba Diving für ihn viel zu langsam sei. Nun, Menschen sind sehr unterschiedlich veranlagt. Mein Haus- und Hof-Handwerker hat meine Größe und meine Statur. Man sollte meinen, er sei eher an den gemächlicheren Sportarten interessiert. Aber weit gefehlt, der Mann spielt Tischtennis. Eine der wohl schnellsten Sportarten, mit denen ich bislang zu tun hatte. Irgendwie sind für solche Aktivitäten die Nervenbahnen in meinem Körper zu lang und falsch verdrahtet. Bis bei mir vom Auge ans Hirn die Daten zur Berechnung der Flugbahn des Balles gesendet werden und eine entsprechende Bewegungsanweisung wiederum vom Hirn in die Hand mit dem Schläger weitergeleitet wird, befindet sich mein Gegner bereits im Freudentanz über das gewonnene Match. Nein, wenn schon Wettkampfspiele, dann bitte auf einem größeren Spielfeld.

Aber insgesamt fehlt es mir vielleicht auch ein wenig am erforderlichen Ehrgeiz. Ist es denn wirklich unbedingt notwendig, dass ich mich mit anderen messe und unbedingt der Bessere sein muss? „Dabei sein ist alles“ dient ja meistens nur als schwacher Trost, wenn man bei einem Wettkampf den Kürzeren gezogen hat. Aber an dem Spruch ist weit mehr dran, als man denken mag.

Weit mehr als das Kräftemessen interessiert mich die Erforschung und das Kennenlernen von Unbekanntem. Wenn schon Zeit und Energie in etwas investieren, dann doch wenigstens so, dass am Ende ein Mehrwert für mich und die Welt dabei herauskommt. Wenn es dann nebenbei noch zur körperlichen Ertüchtigung beiträgt, umso besser. Gerade an dem letzten Satz halte ich mich immer wieder fest, wenn ich keuchend meine Ausrüstung aus dem Keller zum Auto schleppe. Und vom Auto ans Ufer des angestrebten Gewässers. Und patschnass, bedeutet um einiges schwerer, wieder den gleichen Weg zurück. Ja, das eigentliche Tauchen unter Wasser ist Entspannung pur, wenn man es richtig macht. Aber die Vor- und Nachbereitungen haben es schon in sich. Je nach gewählter Tauchlokation kann das schon in richtiges Fitnesstraining ausarten. Ich habe mich auch einmal am Flusstauchen in der italienischen Schweiz versucht. Definitiv etwas für Leute, die auf das Gefühl stehen, mal kurzzeitig die Ausbildung eines Navy-SEAL mitzumachen. 😉

Warum tut man sich das an? Vor allen Dingen, warum fängt man mit so einem Hobby an, wenn man mitten auf dem Festland in einer Klimazone lebt, in der weit über die Hälfte des Jahres das Wasser eigentlich viel zu kalt ist, um reinzuspringen? Ich bekomme die Frage öfter gestellt. Eine Antwort zu finden ist nicht einfach. Warum mögen die einen Hunde und die anderen lieber Katzen und dann gibt es noch die Menschen, die mit Tieren überhaupt nichts am Hut haben? So ist es auch bei den Freizeitbeschäftigungen. So ist es auch im Berufsleben. Die Menschen sind unterschiedlich.

Trotz aller Anstrengungen und den sich häufig – vor allem aus Terminkollisionen – ergebenden Problemen übt das Tauchen auf mich eine unbeschreibliche Faszination aus. Es sind mehrere Faktoren, die da zusammenwirken. Dieses Gefühl der Schwerelosigkeit. Die Illusion des Fliegens. Die erforderliche Langsamkeit. Das Abgeschnittensein von der Außenwelt. Die Unmöglichkeit der Kommunikation. Ja, gerade für einen sich sonst eher wortreich der Umwelt mitteilenden Menschen wie mich ist diese erzwungene Stille eine Herausforderung der besonderen Art. Aber natürlich auch das Kennenlernen von anderen Menschen und deren Erfahrungen. Die unmittelbare Nähe zur Natur. Das ungefilterte Betrachten-Müssen dessen, was die Menschheit in ihrer kollektiven Überheblichkeit aus dieser anderen Welt macht, ohne sie doch überhaupt richtig kennengelernt zu haben. Es sind so viele, so unterschiedliche Beweggründe, dass es mir hier gar nicht gelingen will, sie alle aufzuschreiben.

Einen weiteren Punkt sollte ich aber durchaus noch erwähnen. Das Tauchen bietet mir einen zusätzlichen Grund, mich auf Reisen zu begeben. Seit vielen Jahren möchte ich mehr von der Welt sehen. Wie gut kennt man sich selbst, wenn man in jungen Jahren vor der Berufswahl steht? Das deutsche Strafrecht hält die Option offen, bis zum 27sten Lebensjahr Bewertungen von Straftaten nach Jugendstrafrecht anzustellen, weil man manch einen Menschen selbst nach einem Vierteljahrhundert noch nicht für vollkommen mündig und Herr seiner Entscheidungsfähigkeit hält. Aber auf der anderen Seite halten wir an einem erzkonservativen Lebensplan als Ideal fest, in dem von einem Teenager eine Entscheidung erwartet wird, von der mehr oder minder sein ganzes restliches Leben abhängt: die Berufswahl. Mein Vater meinte es sicherlich gut mit mir, als er mir damals von einem handwerklichen Beruf abriet und mich eher in einer Bürotätigkeit sah. Dem Berufsberater des Arbeitsamtes war es letztlich vollkommen egal. Hauptsache er konnte ein Kreuzchen auf irgendeinem Formular machen. Und ich selbst? Was kannte ich denn an Berufen? Doch nur das, was meine Verwandtschaft und Nachbarschaft aktiv ausübte. Mir fehlte schon allein die Fantasie, mir darüber hinausgehende Tätigkeiten vorzustellen. Und in einem traditionell ausgerichteten Haushalt gibt es auch mehr als genug Stimmen, die jeden von der Norm abweichenden Gedanken ganz schnell als groben Unfug verurteilen. Ja, Pfarrer hätte ich werden sollen. Hätte das vielleicht verhindert, dass ich später ziemlich deutlich vom Glauben abfalle? 😉

Und so wurde ich Erbsenzähler. Ein Halter des Buches. Manch einer meiner Kunden meint, ich sei gar nicht mal ein schlechter. Aber wie oben schon festgestellt, sind auch solche Meinungen häufig recht unterschiedlich. Fakt ist, ich gehe einer Tätigkeit nach, die eigentlich einen sesshaften Lebenswandel voraussetzt. Es bedurfte einiger Jahrzehnte, bis ich diesen Punkt als eine Ursache meiner Unzufriedenheit herausarbeiten konnte. Ich habe zu wenig von der Welt gesehen. Mein Wissensdurst ist nicht gesättigt. Ich bin kein Gartenzwergabstauber. Zumindest keiner, der dauerhaft den gleichen Gartenzwerg sauber halten möchte.

Auch als Buchhalter hat man die Möglichkeit, in Arbeitsbereiche vorzustoßen, in denen man sich fast ständig am Rand der Extreme betätigt. Aber Anlass zum Reisen gibt es selbst dabei nur in geringem Umfang. Im Gegenteil, dieser Hang zum Bearbeiten von Unternehmen in Krisensituationen führt über die Jahrzehnte hinweg dazu, dass Themen wie Freizeit und Urlaub schlichtweg auf der Strecke bleiben. Und mit dem Urlaub dann auch wieder das Reisen. Die fernste Reise, die einem dann noch bleibt, ist das Eintauchen in ein gutes Buch. Lesen war entsprechend auch schon seit eh und je eine meiner Leidenschaften. Besonders die Geschichten der Forscher und Entdecker. Und hier wiederum all diejenigen, die sich den weltumspannenden Ozeanen widmeten. Das Meer übt einfach eine enorme Anziehungskraft auf mich aus.

Warum ich trotzdem erst 45 Jahre alt werden musste, um mir zum ersten Mal ein Drucklufttauchgerät auf den Rücken zu schnallen, wird mir wohl selbst ein Rätsel bleiben. Allzu schnell verfällt man gerne in die Selbstmitleidschiene „ach, hätte ich doch…“. Weitergebracht hat das bis heute noch niemanden. Irgendwann heißt es einfach anfangen. Mein Anfang war nicht wirklich leicht. Meine ersten Schritte in die neue Umgebung waren von panischer Angst geprägt. Keineswegs, wie man es vielleicht vermuten sollte, von der Angst vor dem Ersticken. Dazu war ich schon viel zu lange Atemschutzgeräteträger und Chemikalienschutzanzugträger bei der Feuerwehr. Ich vertraue vollkommen der Technik auf meinem Rücken. Nein, die mangelnde Kontrolle über Halt und Bewegung verursachte in mir ein Unwohlsein, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich fühlte mich schlichtweg hilflos, während ich unter den schützenden Augen des Tauchlehrers Spiralen drehend und nach Halt suchend durch das Hallenbadbecken eierte. Ich empfand es regelrecht als Wohltat, in drei Metern Tiefe auf den Fliesen aufzuschlagen.

In meinem Büro stand damals ein Aquarium. Ich finde es tiefenentspannend, einfach nur dazusitzen und Fischen in ihrem zeitlosen Dasein zuzuschauen. Leider richtete ich meinen Blick normalerweise nur auf meine beiden Computermonitore, statt denn auf den kleinen Unterwasserkosmos auf dem Sideboard. Mit dem Glaskasten hatte ich eher zu tun, wenn es um die regelmäßigen Wasserwechsel oder gar die ab und zu nicht vermeidbare Generalüberholung ging. Wenn der Filter nur noch aus Schlamm bestand oder ein Algenteppich das komplette Innenleben überwachsen hat, blieb nur noch das Leerräumen und Neuaufsetzen der kleinen Wasserwelt. Dazu mussten die Fische vorübergehend in ein Ausweichquartier ziehen. Was leichter klingt, als es ist, denn ganz freiwillig tun die das meistens nicht. Schon mal eine Rüsselbarbe mit den Händen gefangen? 12 bis 15 Zentimeter lang ist der silberfarbene, torpedoförmige Körper. Und besteht nur aus Muskulatur. Wasser ist das gewohnte Metier eines Fisches. Aber mit welcher Perfektion und Leichtigkeit ein Fisch sich in diesem Medium bewegen kann, versteht man erst, wenn man als Mensch anfängt darüber nachzudenken, dass wir immer zwei Medien zusammen brauchen, um uns zu bewegen: Boden und Luft. Landlebewesen agieren zweidimensional. Ein Wasserbewohner kennt diese Beschränkung nicht. Seine Selbstverständlichkeit des dreidimensionalen Bewegens in nur einem einzigen Medium ist eine ganz andere.

Mit all solchen Gedanken beschäftigte ich mich, während ich keuchend die mächtig in die Jahre gekommenen Fliesen auf dem Grund des Frankfurter Hallenbades betrachtete. Und mich packte der Ehrgeiz. Kann doch nicht sein, dass ich das nicht hinbekomme! Der Pionier des Tauchsports Jacques-Yves Cousteau hat es einmal auf den Punkt gebracht: „wenn Du Fische beobachten möchtest, musst Du selbst zum Fisch werden.“ Nun, es sollte noch gut 50 bis 60 Tauchgänge dauern, bis ich endlich begann, ein gewisses Gefühl für das unstabile, nasse Zeug um mich herum zu entwickeln. Selbst heute, jedes Mal, wenn in mir das Gefühl aufkommt, es doch langsam halbwegs drauf zu haben, denke ich wieder an meine Rüsselbarben zurück. Und überdenke die Bewertung meiner Tauchfertigkeiten nochmal. 🙂

Die Leichtigkeit des Seins. Eine Portion Sorglosigkeit. Totale Ungestörtheit. Riesige Entfaltungs-Möglichkeiten und doch Zufriedenheit und Glück im ganz Kleinen. Wenn man das Leben unter Wasser beobachtet, kann man so vieles entdecken, nach dem die Menschheit an Land zwar zu suchen behaupten, aber gleichzeitig alles unternimmt, um jedes noch so kleine Potential von vorne herein im Keim zu ersticken. Neid und Missgunst kennt eine Meeresschildkröte nicht. Übermäßiges Anhäufen von Reichtum geht einem Hai am After vorbei. Weder ein Seepferdchen noch eine Seegurke kämen auf die Idee, einem Artgenossen ein Kantholz über den Schädel zu ziehen, weil er an einen anderen Gott glaubt. Eine Muräne baut keine Atomwaffen, um hundert Höhlen zu verteidigen, von denen sie ohnehin nur eine nutzt. All unser menschengemachtes Ungemach ist so weit weg und findet in nichts, was einem unter Wasser begegnet, eine Entsprechung. Es ist nicht nur eine andere Welt, nein, es ist ein absolut anderes Universum.

Leider eins, dem der Mensch auch schon seinen Stempel aufdrückt. Vernichtung, Ausbeutung und Vermüllung sind leider Vorboten einer neuerlichen „Eroberung des Paradieses“. Ging beim ersten Mal schon schief, wie die Geschichtsbücher uns wissen lassen. Gelernt hat der Mensch nichts daraus. Solche Feststellungen sind es dann, die mich wieder ins Hier und Jetzt zurück holen. Die Idee zu diesem Blog ist aus einer solchen Anwandlung heraus entstanden. Quo vadis, Menschheit? Bist Du auf der Suche nach einer besseren Welt? Suchst Du ein Vorbild für ein besseres Miteinander? Für ein reibungsloses Zusammenleben unterschiedlichster Lebensformen und Kulturen, ganz ohne Grenzen und Barrieren? Dann schau unter die Wasseroberfläche. Schau genau hin und schau Dir etwas davon ab. Davon lernen. Nicht erobern. Sobald der Mensch das begriffen hat, klappt es auch an Land besser.

So kommt es, dass ich dem Tauchsport derzeit einen erheblichen Teil meiner verfügbaren Zeit widme. Und sicherlich hier im Blog auch das eine oder andere Erlebnis noch als Aufhänger für einen Eintrag nutzen werde. Auf Facebook las ich letztens einen netten Spruch: „it’s easy to start diving. But it’s hard, if not to say impossible to quit.“ Ich kann das bestätigen. Und freue mich jedes Mal aufs neue, wenn sich mir die Gelegenheit bietet, in diese andere Welt vorzustoßen.

Einen sehnsüchtig verträumten Gruß

Euer Clark

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